PunktKomma ist ein Literarisch-politisch-philosophischer Blog. hereinspaziert!

Ich habe lange gezögert, ob ich all diese Texte, die hier wohnen, für ein Buch aufbewahren und sie erst dann als Tinte auf Papier in die Welt schicken sollte. Ich merkte aber nach einem Dreivierteljahr Arbeit, dass das Schreiben für mich kein Akt des Perfektionsanstrebens ist, sondern ein ständiges Weiterspinnen von Ideen, ein Nachdenken im Dialog. So wie es Sprechdenken gibt, so sehe ich das öffentliche Schreiben als Sprechschreiben; ein Handeln im Sinne Hannah Arendts, ein Rausgehen und ein ungeplantes In-Den-Dialog treten, ein Existieren in der Interaktion mit anderen Menschen; vielleicht ab jetzt auch mit dir?

Warum Punktkomma? Weil ein Gedanke den nächsten gebiert. Weil er für sich stehen bleiben, aber auch weitergeführt werden kann. Weil mehr Dinge eine Aufzählung bilden können, als uns lieb wäre.

 

Hier wird es keine klare Trennung zwischen Persönlichem und Theoretischem geben; manche Texte werden philosophisch sein; andere essayistisch oder autobiografisch; manche politisch, aus der oppositionell-russischen Perspektive; viele tagesaktuell.

 

Ich weiß noch nicht, was bleibt und was vergeht; ich möchte einfach schreiben. Kommst du mit?


Diese Geschichten sind alle wahr. So wahr, wie unsere Erinnerungen. Mit einer Prise Wunschdenken, zwei Löffeln Verdrängung, ein paar Retuschen durch die selektive Wahrnehmung und einem Blickwinkelspagat zwischen Nächstenliebe und Narzissmus. Hier und da durch die Erinnerungslücken radiert und frei nach Form nachgezeichnet. Und im Sinne der Kunstfreiheit stellenweise etwas überzogen. So wie du es auch aus den Tischgesprächen kennst.

Was möchtest du heute lesen?

Unentschlossen?

(oder sowas in der Art, was da auch Netflix immer schreibt, damit du nicht abspringst)

Ooooder lies einfach drauf los:

Zwei Musikschulen

Katja und ich hatten so gut wie nichts Gemeinsames bis auf den Namen und die überambitionierten Eltern, die selber nie Musik machten, uns aber in den Ferien zum Musik üben schickten. 

 

Katjas Eltern ließen ihren Klavierfingern nicht mal zwei Wochen Pause. Meine Eltern waren da entspannter, erst in den dreimonatigen Sommerferien ging‘s bei der Oma im Dorf in eine Musikschule.

 

So lernte ich zwei Musikschulen kennen, die mich beide über die Ferien beheimatet haben. 

 

Die eine "Musikschule" befand sich in Zermatter Grundschule, mitten in den Schweizer Bergen, wo wir jährlich Ski fuhren. Das war eigentlich nur das Musikzimmer mit einem schönen Holzklavier im zweiten Stock. Katja und ich gingen abends immer hin. Die Nacht legte sich über das kleine nette Zermatt und wir liefen die kleinen Straßen hoch bis zu hohen Glasstüren der Schule. Uns (beziehungsweise Katjas Eltern) wurde vertrauensvoll der Schlüssel von der Grundschule überlassen. Wir gingen also abends alleine hin und kämpften nach dem für Katja obligatorischen Musizieren mit kindlicher Neugierde weitere Räume als das erlaubte Klavierraum zu erkunden. Dennoch war für mich, selbst während meiner bereits anrollenden äußerst rebellischen Teeniezeit, die Dankbarkeit über dieses Vertrauen - zwei Kinder alleine in der riesigen hübsch ausgestatteten Schule mit Kinderspuren überall (Plakaten, Zeichnungen, halbvollen Garderoben, einem nett eingerichteten Minimuseum der Kinderkunst hinter der Glassscheibe im Erdgeschoss) - so groß, dass wir nach dem Üben tagtäglich fleißig die Türe zusperrten und in der Sternennacht wieder in unser Apartment liefen. Diese abendliche Schule im gedeckten Licht der Schrittmelder war irgendwie andächtig, wie eine Art Kindertempel, wo diese lebendige Kinderenergie auch spätabends noch in den Gängen nachhallte und uns ansteckte.

 

Die zweite "Musikschule", die auch keine war, lag ebenfalls in einer Grundschule im südrussischen Dorf Lasarevskoje nahe Sotschi, wo mein Vater herkommt und wo ich bei seiner Mama, meiner Oma, bis ich zehn wurde, jeden Sommer fast zwei Monate verbrachte. Dort grüßte uns in der Früh, bei der bereits warmen Sonne, eine bittersüß lächelnde Oma mit kurzem grau-weißen Haarschnitt ähnlich einer Wolke, die gute Seele des Hauses. Im Gärtchen nebenan krähten die Hähne. Diese Schule ist in meiner Erinnerung leuchtend hell geblieben. Ich spielte im kleinen, unfassbar hellen und warmen Raum. Überall hingen Kinderbilder und an die Kinder gerichteten Bilder, von denen es einerseits stark sowjetisch wehte, andererseits waren die meisten so universell menschlich, dass sie auch mich abholten. Ich erinnere mich an keines davon, aber an das Gefühl, dass ich von diesen zu mir bunt sprechenden, leuchtenden Wänden abgeholt werde.

 

So unterschiedlich wie Katja und ich waren, waren also auch diese Schulen. Und doch war da eines, was den beiden Schulen gemeinsam war. Was vielleicht auch Katja und mir gemeinsam war. Was auch den Menschen in diesen zwei voneinander weit geografisch und kulturell entlegenen Orten gemeinsam war, auch wenn von diesen Menschen sich die allermeisten nie im Leben begegnen würden. Die Spuren der Kinder. Und diese leuchtende Energie, die sich in die Klaviermusik einflocht. 

 

Diese Spuren der beiden Schulen sitzen noch tief in mir drin. Die rufen mich zurück. Ich muss mal zurück. Auch wenn Sotschi und damit ein großer Stück meiner Kinderseele mir noch mindestens so lange versperrt bleiben wird, bis dort im Staatsfernsehen Der Schwanensee läuft.

 

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Gemeinsamer Nenner

Wenn zwei politische Lager unversöhnlich auseinanderdriften.

Wenn Religionsverschiedenheiten in Kriegen münden.

 

Wenn's unwiderruflich brennt, suchen wir alle plötzlich nach ihm. Nach dem gemeinsamen Nenner.

 

Die Politiker sind sich doch ähnlich, oder nicht? Zumindest sind sie alle als Berufspolitiker im gleichen Maße realitätsfremd, und die meisten gehen von der Demokratie aus, welche sie nur unterschiedlich auslegen. Oder nicht? Und die Religionen, die sich untereinander ähnlicher sind in ihrer Suche nach dem Sinn, als in Abgrenzung zu den militanten aber in der Regel zahnlosen Ateisten, die ihr Nicht-Glaube übermütig als absolutes Wissen darstellen. Meinen spirituelle Praktiken, bei all ihrer Vielfalt, im Kern doch oft dasselbe, oder nicht?

 

Ist es denn nicht so?

 

Nun ja, wenn's sich für alle Beteiligten noch nicht danach anfüllt, zwingen wir sie doch einfach in eine Bruchrechnung und kürzen so lange Details und Einzelheiten heraus, bis sich die Zahl sauber dividieren lässt.

 

Selbst im eigenen Leben versuchen wir ständig, einen gemeinsamen Nenner zu finden.

Einen roten Faden durch Brüche und Widersprüche in unserer Persönlichkeit und unseren Taten zu ziehen.
Oft misslingt es.

Eigentlich misslingt es immer.

Eigentlich misslingt es überall.

 

Dieses Gemeinsame, das alles durchdringt und teilbar macht, entzieht sich, obwohl wir es doch grad eben um die Ecke kommen sahen. 

 

In der Mathematik ist es einfacher: Eins ist der einzige Teiler, den alle natürlichen Zahlen gemeinsam haben. Zwei ist es schon nicht mehr. Und drei erst recht nicht. Je größer der Teiler, desto weniger Zahlen lassen sich durch ihn teilen. Vielleicht ist genau das das Dilemma der Verständigung: Je allgemeiner ein Nenner, desto banaler wird er. Je spezieller, desto spaltender.

 

Man legt Seidenschnipsel übereinander, fein und schimmernd, aber flüchtig und extremst widerspenstig, in der Hoffnung, dass sie sich durch ein gemeinsames Muster ordnen lassen. Aber je mehr Schnipsel, je mehr Stimmen, desto schwieriger wird es.


Der gemeinsame Nenner ist ein Phantom. Und doch winkt er uns immer wieder mal hämisch zu, bevor er um die Ecke verschwindet. Und gerade darum lohnt sich die Suche. Eines Tages werden wir ihn schnappen, wenn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde, bevor er uns wieder entweicht.

 

 

 

 

Meine (vorläufige) Suche nach dem gemeinsamen Nenner, meine letzte Hausarbeit in Philosophie "Die Welt im Kästchenraster: Gefährdet die Auskategorisierung der Welt die Möglichkeit der Konsensfindung in heutigen Diskursen?" habe ich nun hier (zusammen mit ein paar anderen Veröffentlichungen) hochgeladen. 

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C. G. Jung #2

In unseren Träumen kommen oft ganz alltägliche Dinge vor – Straßen, Tiere, Menschen – die uns aber im Traum plötzlich bedrohlich oder seltsam erscheinen. Dieses Phänomen beschreibt C. G. Jung als ein typisches Merkmal des Unbewussten, das mit symbolischer Verdichtung arbeitet, denn diese Dinge wirken deshalb anders, als im realen Leben, weil sie mit mehreren Bedeutungen geladen sind.

 

Träume können auch metaphorisch sein. Jung erzählt etwa von einem Traum, in dem ihm ein Mann, den er im wachen Leben nicht mochte, buchstäblich auf den Rücken stieg. Die Redewendung „jemandem auf den Buckel steigen“ wurde dabei wortwörtlich ins Bild gesetzt. Unser Unbewusstes spielt mit Sprache und Symbolen, teils auch mit solchen, die uns im bewussten Leben gar nicht mehr geläufig sind. Hierin sehen wir noch Jungs Nähe zu Freud, der ebenfalls die Mechanismen der Verdichtung (neben Verschiebung und noch ein paar anderen) im Traum beschrieben hatte.

 

Anders als Freud aber, der in jedem Traum eine Wunscherfüllung sah (oft eines verdrängten, und noch öfter eines sexuellen Wunsches aus der Kindheit), beschrieb Jung Traüme als kompensatorisch. In anderen Worten: Sie stellen eine Art Gegengewicht zum bewussten Leben dar. Dieser Unterschied scheint zunächst nur begrifflich, hat aber weitreichende Konsequenzen. Während Freud Träume als Ausdruck des durch innere Zensur gejagten Unbewussten interpretiert, sieht Jung in ihnen eine Rückbindung an eine tiefere, symbolisch-archaische Psyche, eine Psyche, die in unserer modernen, technisierten Welt immer mehr wegrationalisiert wird.

 

Jung sagt auch, dass viele Träume warnen, manchmal sehr direkt, manchmal eben verschlüsselt. Sie machen unsere sogenannte bewusste Vernunft, die an den selben Stellen gegen die Wand rennt, darauf aufmerksam, dass eine Wand da ist.

 

Jung kritisiert in seinen Schriften, und das schon in den 1950er-Jahren (!) die zunehmende Rationalisierung unserer Welt. Er warnt davor, dass durch die permanente Reizüberflutung – Werbung, politische Propaganda, äußere Ideale – eine psychische Dissoziation entstehen kann. Der moderne Mensch versucht, „vernünftig“ zu sein, dabei verliert er den Zugang zu jenen magischen, intuitiven Strukturen, die in sogenannten primitiven Kulturen noch selbstverständlich sind. Wir glauben, viel weiter zu sein. Aber wir sind es nicht. Wir haben die Dinge nur woandershin verlagert, oft in halbbewusste Glaubenssätze.

 

Wir blicken ungläubig auf Kulturen, in denen Opfer dargebracht wurden, es erscheint uns gewalttätig, und das ist es auch. Aber was, wenn hinter diesen Ritualen die Vorstellung steckt, dass das Gute nur durch ein Opfer möglich ist? Diese Idee, dass etwas nicht zu lange gut gehen kann, begegnet uns auch heute noch, in Gesprächen, in Sprichwörtern, in unserer Haltung zum Glück. Vielleicht handelt es sich um einen archetypischen Glaubenssatz, dass das Gleichgewicht nur durch einen Ausgleich auf der Gut-Schlecht-Waage wiederhergestellt werden kann. Es läuft zu gut. Man muss ein Opfer bringen. Heute heißt dieses Opfer Selbstsabotage und/oder Prokrastination.

 

Wo waren wir? Ich war kurz eine rauchen nach lauter anstrengender Arbeit. Also, die Archetypen.

 

Ein zentraler Gedanke bei Jung ist der der Archetypen, Urbilder, die tief in unserer Psyche verwurzelt sind. Er vergleicht sie mit biologischen Spuren der Entwicklung: Wie Embryonen menschlicher Föten eine Zeit lang Ähnlichkeit mit den tierischen Embryos haben, so trägt auch unsere Psyche Relikte früherer Entwicklungsphasen in sich. Deshalb berühren uns Geschichten vom Helden, der ins Unbekannte aufbricht, so tief.

 

Diese Muster sind nicht angelernt. Wir tun sie zuerst, lange bevor wir sie intellektuell begreifen. „Am Anfang war die Tat“, sagt Jung, im Rückgriff auf Goethe. Erst später folgt die Sprache und die ausgeklügte Interpretation zur Selbstberuhigung, warum man denn so und nicht anders gehandelt hat (ist übrigens mittlerweile sogar wissenschaftlich nachgewiesen). 

 

Viele unserer heutigen Rituale – Weihnachten, Ostern, Geburtstagskerzen, bestimmte Gesten – sind Reste solcher kollektiven Handlungen, deren ursprünglicher Sinn längst vergessen ist. Wir wissen oft nicht mehr, warum wir Dinge tun, aber wir tun sie trotzdem. Und es ist mehr als ein „Das war schon immer so“. Diese Feste haben Kreuzzüge und Weltkriege überlebt. Vielleicht steckt mehr dahinter, als meets the eye.

 

Vielleicht verbirgt sich in den Tiefen der kollektiven und individuellen Psyche überhaupt viel mehr, than are dreamt of in your philosophy.

 

 

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C. G. Jung und die Welt der wissenschaflichen Esoterik

Carl Gustav Jung ist einer der wenigen Menschen, der für mich die Welt der Sachbücher zum Verschlingen eröffnet hatte. So bin ich letzten Sommer in einer absoluten Flow-Stimmung stundenlang am Balkon oder am Donau-Ufer frühmorgens um Viertel vor Fünf gesessen. Ich bin buchstäblich mit den ersten Sonnenstrahlen auf seinen Buchseiten in den Tag gestartet. 

 

Ich wusste natürlich längst, wer C. G. Jung ist, aus den Psychologie- und Philosophievorlesungen und Netflix-Serien. Nur kam ich nie dazu, ihn tatsächlich zu lesen und gab mich mit den Stichwörtern kollektives Unbewusstes und Archetypenlehre zufrieden.

 

Über meine Beschäftigung mit wissenschaftlicher Esotherik (ja, das geht!), kam ich auf sein Buch Synchronizität. So ging die Reise los.

 

Das, was ich darin gelesen hatte, hat mich in all dem bestätigt, was ich schon lange von der Welt gehalten habe, nämlich, dass viele Dinge nicht kausal aber dennoch auf akausale Weise logisch-bedeutungsvoll miteinadner verknüpft sind. Und das nichts mit selektiver Wahrnehmung zu tun. Die Dinge ziehen sich regelrecht an. Heute mussten wir unserer Tochter von dem Ableben ihrer wichtigen Bezugsperson erzählen und just als ich in der ersten emotionalen (und Rauch-)pause den E-Dampf das Küchenfenster hinaus atmete, sah ich eine große Auto-Prozession. Schwarze Autos, schwarz gekleidete Menschen. Noch jemand ist gestorben. Nicht weit von uns in der Straße ist ein Friedhof, anfangs fand ich das befremdlich, doch das legte sich. Ich zeigte meinem Mann auf die Prozession. 

Klar, dahinter ist ja Friedhof. 

Du verstehst nicht, mein ich, ausgerechnet jetzt. Als würden sich die Geschehnisse anziehen. 

 

Gar nicht unbedingt im Tod an sich, aber vielleicht zog es die anderen Trauenden irgendwie energetisch an, ausgerechnet vor unserem Haus zu parken, in dem vor 15 Minuten auch Tränen flossen. Solche sinnvoll-akuasalen Verbindungen versucht Jung auf über 200 Seiten greif- und verstehbar zu machen.

 

Wenn wir von Hellsehen, Telepathie oder Vorahnung hören, denken viele an esoterische Spekulationen.

 

Jung beschreibt in seinem Buch wie der US-amerikanische Psychologe J. B. Rhine es genau wissen wollte und in den 1930er Jahren eine Reihe Experimente entwickelte, um sogenannte außersinnliche Wahrnehmung (ESP – extrasensory perception) wissenschaftlich zu testen.

 

Im bekanntesten Versuch benutzte Rhine einen Satz aus 25 Karten, auf denen jeweils eines von fünf Symbolen abgebildet war (Stern, Quadrat, Kreis, Kreuz, zwei Wellenlinien). Die Karten wurden verdeckt und in zufälliger Reihenfolge ausgelegt. Die Versuchsperson sollte raten, welches Symbol sich auf der jeweils gezogenen Karte befand – ohne sie sehen zu können. Die Wahrscheinlichkeit, zufällig richtig zu raten, lag bei 1:5. Statistisch wären also 5 richtige Antworten bei 25 Karten zu erwarten. Doch in Rhines Versuchsreihen mit teils über 800 Durchgängen pro Serie lag der Durchschnitt überraschend bei 6,5 Treffern. Noch verblüffender: Manche Personen erzielten doppelt so viele Treffer wie zu erwarten gewesen wäre – einige sogar alle 25 richtig. Die Wahrscheinlichkeit für ein derart perfektes Ergebnis liegt bei 1 zu 289.023.223.876.953.125.

 

Rhine wiederholte die Experimente unter verschiedenen Bedingungen. Die räumliche Distanz zwischen Versuchsleitung und Versuchsperson wurde auf bis zu 4000 Meilen ausgeweitet – ohne Einfluss auf die Ergebnisse. In einem weiteren Versuch sollten die Probanden Karten erraten, die erst in der Zukunft gezogen werden würden, mit einem zeitlichen Abstand von wenigen Minuten bis hin zu zwei Wochen. Auch hier waren die Trefferzahlen statistisch signifikant – mit einer errechneten Wahrscheinlichkeit von 1 zu 1.400.000, dass es sich nur um ein Zufall handeln würde.

 

Schließlich testete Rhine auch sogenannte psychokinetische Fähigkeiten (PK): Versuchspersonen sollten durch reine Willenskraft die Augenzahl von geworfenen Würfeln beeinflussen. Je mehr Würfel gleichzeitig verwendet wurden, desto deutlicher zeigte sich eine Abweichung vom Zufall. Die Psyche, so das Ergebnis, konnte offensichtlich Einfluss auf physische Vorgänge nehmen, ein Effekt, der nach Ansicht von C. G. Jung auf eine psychische Relativität von Raum und Zeit hindeutet. Die Konsequenzen sind tiefgreifend. Weder das klassische Kausalgesetz noch der Energieerhaltungssatz lassen sich auf Rhines Ergebnisse anwenden. Es scheint vielmehr, dass hier nicht kausale, sondern bedeutungsvolle Koinzidenzen, also Synchronizitäten, vorliegen: höchst unwahrscheinliche, aber sinnhafte Übereinstimmungen zwischen inneren Zuständen und äußeren Ereignissen.

 

Jung beobachtete zudem ein interessantes psychologisches Muster: Frühe Versuchsreihen einer Person waren oft erfolgreicher als spätere, und die Trefferquote schien stark von der Stimmung der Versuchsperson abzuhängen. Glaube, Offenheit und eine optimistische Grundhaltung förderten die Resultate. Skepsis und Widerstand hingegen wirkten hemmend. Diese Affektivität, also die emotionale Verfassung der Person, scheint eine entscheidende Bedingung dafür zu sein, dass sich solche Phänomene überhaupt zeigen, wenn auch nicht in jedem Fall.

 

Trotz dieser Erkenntnisse betonte Jung: Das Auftreten der Treffer ließ sich nie genau vorhersagen. Es handelte sich also nicht um ein Gesetz, sondern eher um das Auftauchen unwahrscheinlicher Zufälle, die nicht kausal erklärbar, aber dennoch sinnhaft erscheinen. Er sprach deshalb von „sinnvollen Koinzidenzen“ – Begegnungen zwischen Psyche und Welt, die wie verabredet wirken, obwohl sie es nicht sind.

 

Als nächstes war für mich sein mit seinen Nachfolgern geteiltes Buch Der Mensch und seine Symbole dran. Da waren auch einige Gedankenschätze begraben.

 

Jung hat zum Beispiel das freie Assoziieren als ein wichtiges und legitimes Instrument zum Begreifen der Realität gesehen. Im nächsten Schritt stellte er eine Verbindung zur Magie von Kristallkugeln her – und auch zur Kunst, Assoziationen hervorzurufen und wachzurütteln, um neue unbewusste Inhalte zugänglich zu machen. Vielleicht lässt sich damit auch jene Form sensibler Mystik erklären, durch die manche Menschen schneller und besser an unbewusste Inhalte (die eigenen wie die anderer) herankommen. Weil sie über eine besondere Grundempfindlichkeit verfügen, eine Kraft des von der Logik abstrahierten und dennoch hochwachen Hineinspürens, durch die sie mit scheinbar mystischen Mitteln wie Kristallkugeln oder dem Lesen aus dem Kaffeesatz tatsächlich zu neuen Erkenntnissen gelangen können. Dabei sind diese Mittel an sich eigentlich irrelevant, sie sind einfach nur rituelle Attribute, die dem jeweiligen Menschen den Zugang zum freien Assoziieren, zu der Intution erleichtern.

 

Eine Freundin von mir hat mir übrigens an meinem Kaffeesatz aus dem Nichts Schwangerschaft und Hochzeit vorhergesagt. Ich hatte zu dem Zeitpunkt an Voraussetzungen dafür nur einen festen Freund. Paar Monate später war beides soweit. Es war Frühling und ich dachte noch, eine gute Freundin von mir ist gemeint, die im September heiratet. Ich dachte, ich würde eben bei ihrer Hochzeit dabei sein. Naja, im August war ich selbst dran. Mit Nummer drei in meinem Bauch.

 

Ich war schon als Kind gerne mystisch-esotherisch unterwegs. So eine Welt mit Geistern und Energien, eine Art nur uns zugängliche alternative Realität, hat viel mehr Spaß gemacht, als die trostlosen Petersburger Straßen im Herbst oder gar im Winter. Die Straßen einer Stadt mit weißen Nächten, aber auch mit langen Polarwintern mit kaum Sonnenlicht. Wo Erwachsene, die es nicht besser wussten, zu Alkohol griffen, griffen wir Kinder zur Phantasie. Das war aber auch so ein Ding, wo mir alle prophezeit haben, ich würde da herauswachsen. Ist nicht geschehen. Ich bin noch immer ein großes Kind mit einem Hang zum Unerklärlichen als Kontrastprogramm zu meiner Liebe zu den logischen Rätseln. Es ist aber auch gar kein Widerspruch, eher eine dialektische Synthese in der Suche nach dem wahren Grund der Dinge. Esotherik ist auch nur so lange Esotherik, bis wir eine Erklärung für empirisch gehäuft auftretenden Phänomene finden.

 

Wie auch bei C.G. Jung: Die Hexe mit einer Kristallkugel ist im Prinzip einfach nur empfänglicher für assoziative, unterbewusste Inhalte der anderen Menschen. Wahrscheinlich werden wir später Energiesensoren in uns Menschen finden, die auch die Hexen und Wahrsager auf den Grund der wissenschaftlichen Tatsachen bringen. Diese Vorstellung ist gar nicht so abwegig. Wie oft wurden Science-Fiction-Märchen schon Realität? Und ich bin immer erstaunt, mit welcher Wehemenz sind die Wissenschaft heute von allem esotherischen abgrenzt. Es ist schon ziemlich abwegig, vorausgesetzt, dass wir noch immer von ganz vielen Dingen unserer Welt keine (abschließende) Ahnung haben.

 

Das andere Thema bei Jung, das ich interessant fand, war, dass man Dinge vergisst, um für neue Ideen in unserem Hirn Platz freizuräumen, und dass man daher als erstes Dinge vergisst, die ihre emotionale Höhe für einen verlieren oder die Dinge, mit denen wir uns nicht mehr identifiziern. Und das ist interessant, weil wenn ich jetzt meine alten Tagebücher lese, meine Erinnerungen aus der Zeit, wo ich 14-15 war, weiß ich, dass ich nur noch Dinge erinnere, die mir nicht mehr so peinlich sind. Beziehungsweise dass ich Dinge vergesse, die mir als Persönlichkeit nicht mehr entsprechen. Also, dass ich mich nur noch das erinnere, womit ich mich auch als Persönlichkeit heute identifiziere.

 

Und was auch interessant ist bei Carl Jung, dass diese gewisse Spaltung der Persönlichkeit bzw. diese Schizophrenie, die auch bei den psychisch-gesunden Menschen in den Hirnen blüht, bzw. diese weichen Stellen des Bewusstseins den Zugang zum Unbewussten öffnen. Da, wo wir kurz das Rational-Logische loslassen, kommen wir zum Archetypisch-Unbewusst-Wahren. Wobei diese Wahrheit hochsymbolisch und hochindividuell ist. In uns ist also eine Stelle vorgesehen, wie eine Steckdose für das kollektive Unterbewusste (nicht biologisch zu verstehen), dass es in uns einfließen kann. Deswegen ist auch NLP mit all seinen Affirmationen so wirksam, wenn wir Dinge zu behaupten von dem, was wir sein wollen, weil letztendlich unsere Persönlichkeit sowieso fluide ist. Wir müssen nur lernen an die neuen Glaubenssätze wirklich zu glauben, dann werden die automatisch ein Teil von uns.

 

Wir gehen als rationale Wesen davon aus, dass wir einen festen Kern in uns haben. Das gibt uns zwar Sicherheit, morgen wieder als gleicher Mensch aufzuwachsen und sich nicht von sich selber zu erschrecken, aber eigentlich ist es Schwachsinn. Eigentlich sind wir fluide, aus Erfahrungen und Glaubenssätzen zusammengeflickte Persönlichkeiten mit ein paar imaginären Steckdosen zu unserer kollektiven symbolischen Cloud. Irgendwie ist es aber lebensbejaend. Und uns Menschen zusammenbringend.

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wertvoll

Worin errechnet sich das Wert eines Lebens?

In der Anzahl der vergossenen Tränen, wenn du nicht mehr bist?

In der Anzahl der Erinnerungen mit dir?

In der Zahl deiner Werke jeglicher Form, die dich überleben?

In deinem Einfluss auf die Welt? Worin errechnet sich dieser?

Zählen Kindertränen doppelt so viel?

Stirbst du ein zweites Mal und damit endgültig, wie im Zeichentrickfilm Coco, wenn die letze irdische Erinnerung an dich verstummt?

 

Hannah Arendt würde sagen, dass dein Leben das gewesen ist, was über dich im Nachhinein erzählt wird. So eine Art Legende über dich aus der Sicht der Außenstehenden. Eine oft niemals geschriebene Biografie. 

 

Ich glaube fast, dass viele einflussreiche Menschen ihre eigenen Memoiren im reifen Alter deshalb veröffentlichen, weil sie damit diese nachträgliche Legende über sich selbst ein Stück weit mitschreiben möchten, um mehr Kontrolle über ihr Leben nach dem Tod zu behalten.

 

Dennoch scheint es mir, auch wenn ich selber immer wieder eine Bestätigung im Außen suche (und das ist nun mal unsere soziale Seite, die nur schwer abzutrainieren ist), dass das nicht alles sein kann, was letztendlich zählt.

 

Denn so oft sind wir alleine. Wir werden alleine geboren: Wir entstehen im Mutterleib, und sobald unser Hirn auf Hochtouren zu laufen beginnt, sind wir zwar in der Mutter und dennoch alleine. Die Mutter umgarnt uns wie ein kleines Stück Universum.

 

Doch so weit zurück muss man gar nicht denken. Tagtäglich schlafen wir alleine ein, auch wenn jemand daneben liegt, laufen im Kopf die existenziellsten Momente des Tages ab. Eine Rekapitulation. Eine kleine Todesübung. 

 

Wir wachen dann am nächsten Morgen alleine auf in einer kalten Dusche aus sprudelnden Gedanken.

 

Wir denken überhaupt immer alleine. Da war mal was. Ich denke, also bin ich.

 

Wir sind alleine, wenn wir wegdriften, wenn wir Angst oder Freude haben, und auch wenn die anderen es mit uns teilen, und daraus ein halbes Freud oder Leid wird, bleibt die Hälfte immer noch bei uns selbst. Das halbe Päkchen tragen wir immer alleine.

 

In so einem Leben, wo die wichtigsten Momente, die ganzen für alle anderen unsichtbaren Seelenbewegungen, die ganzen nach außen stummen Implosionen, die innendrin alles zerfetzen und eine Wunde hinterlassen, die sich vernarbt und immer wieder spannt; Wo wir, nur vom eigenen Gedankenstrom begleitet, täglich in die Bewusstlosigkeit rein und aus ihr wieder hinaus gleiten; Wo wir am Grunde der Dinge am meisten über uns selbst zu berichten haben, selbst wenn wir unser Unterbewusstes nie ganz begreifen werden; In dieser Welt mit diesem Menschenwesen kann es doch nicht sein, dass das Wert eines Lebens sich ausschließlich im Außen manifestiert.

 

Das ist wahrscheinlich alles, was ich dazu sagen kann, was ich zu sagen in der Lage bin. Wir wissen noch viel zu vieles nicht, was das Thema betrifft, und machen seit Jahrhunderten überschnelle positivistisch-wissenschaftliche Schlüsse. Der Gott ist tot und wir mit ihm. 

 

Ich würde ihn nicht zu schnell begraben, auch wenn da, wo einst der Mann auf Wolke saß, heuer Flugzeuge und Raketen fliegen, so umgarnt uns nach wie vor das Universum, das wir weder fassen noch begreifen können. 

 

Ich glaube fest, dass jedes Leben, diese Innensicht eines jeden Menschen, diese Seele, oder ich nenn's am liebsten Energie nicht nicht zählen kann. Welches Lied könnte diese Energie singen, während sich das Äußere von der Welt und die Welt von dem Äußeren verabschieden? Ich stelle eine Kerze in den Wind und höre der Stille zu.

 

 

Im liebevollen und dankbaren Gedenken an Silvia Brunner, einen wundervollen Menschen und einer wichtigen Bezugsperson für meine Tochter. Du wirst vermisst!

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Steuer ist tot. Lang lebe die Steuer

oder warum ich für minarchistischen Libertarismus bin

 

Ich glaube daran, dass Menschen grundsätzlich gut sind. Dass sie fähig sind, Verantwortung zu übernehmen – für sich, für andere und für die Gemeinschaft. Was wir brauchen, ist kein bürokratisch-wuchernder Staat, der alles reguliert, sondern ein Raum, in dem Freiheit wachsen kann.

 

Ein Staat, der zwar schützt und sichert aber auch ermöglicht. Der auffängt, nur wenn es nötig ist, und gleichzeitig Platz lässt für Eigeninitiative, Mut und Bewegung. Ein Staat, der sich auf das Wesentliche konzentriert und Menschen zutraut, das Ihre selbst zu gestalten.

 

Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig Absicherung sein kann. Es gab Phasen in meinem Leben, in denen ich auf Unterstützung angewiesen war. Dachte ich zumindest. Während Coronalockdown Theaterschule absolviert zu haben, war echt kein schöner Zeitpunkt. Ich war dankbar, dass es Hilfen gab. Gleichzeitig habe ich gespürt, wie schwer es dann war, sich daraus wieder in Bewegung zu setzen. Es hat mich gelähmt. Ich hab's mir in meinem künstlerischen Häuschen in meinem Kopf bequem gemacht, während andere in Ermangelung der Masken kaum geschützt in Supermärkten an der Kasse standen. Heute schäme ich mich dafür, obwohl die Umgebung mich sogar dazu animiert hatte.

 

Das war falsch. Hilfe darf nicht zu einer Bremse werden. Das System funktioniert nur, wenn es von moralischem Bewusstsein getragen wird. Bequemlichkeit und Anspruchsdenken haben hier nichts verloren. Das Ganze funktioniert nur, wenn wir uns ständig selbst fragen: Brauche ich das gerade wirklich? Oder kann ich stattdessen sogar geben?

 

Ich möchte eine Gesellschaft, die individuelle Stärke belohnt, ohne die Schwächsten zu übersehen. Eine Gesellschaft, in der Leistung nicht gedeckelt wird. Eine Gesellschaft, in der Einsatz belohnt wird und Wohlstand nicht beneidet und größtenteils weggenommen wird. Vor allem ist es nicht dasselbe, ob jemand sein Vermögen durch harte Arbeit, kluge Entscheidungen und persönliches Risiko aufgebaut hat – oder ob er es geerbt oder gewonnen hat. Letzteres wird bei uns aber nicht besteuert und ersteres fast zur Hälfte. Das führt nur dazu, dass die Menschen, die der Gemeinschaft helfen könnten, entweder in weiser Voraussicht auswandern oder an ihren Geschäftsmodellen so feilen, dass da kaum was in die gemeinsame Kasse fließt. Dabei spenden viele dieser Leute an verschiedene NGOs und Iniativen. Warum ist also die Steuer so verpönt? Weil diese Steuerkasse ein Bermudadreieck mit allverschlingendem Boden zu sein scheint. Weil keiner mehr konkret und anschaulich blickt, wofür er da eigentlich zahlt.

 

Wenn ich meinen Grafikdesignkunden eine Rechnung schreibe, möchten sie in der Regel zurecht wissen, welche Tätigkeit wie viel Zeit in Anspruch nimmt und ergo so und so viel kostet. 

 

Ich möchte ein System, das transparent ist. Das mir zeigt, wofür ich zahle. So und so viel für die Schwächsten, so und so viel für die neue Autobahn, so und so viel für die Deutsche Bahn (das würde ich wahrscheinlich nach nächster Verspätung einklagen), so und so viel für medizinische Einrichtungen, für Schulen, für die Polizei. Natürlich, kann ich vieles über die Staatsausgaben online finden, aber die Transparenz seitens Nehmender wird nicht explizit angestrebt, und das ist verkehrt. Steuern sollen spürbar sinnvoll sein. Nicht als Belastung, sondern als verhältnismäßiger Beitrag zu etwas, das uns trägt.

 

Ich will auch, dass es sich lohnt, mehr zu tun. Dass Investitionsmut, Arbeit und Einsatz gut belohnt werden. Ich will, dass Erfolg nicht verdächtig ist, sondern inspirierend. Dass wir anderen Wohlstand gönnen, weil wir wissen: Ihr Erfolg bedeutet nicht unser Verlust. Im Gegenteil – wenn jeder Einzelne aufblüht, blüht das ganze Beet. Das leben ist kein Nullsummenspiel, eher umgekehrt – wir sind Multiplikatoren (obwohl dieses Wort so unfassbar abgelutscht ist).

 

Aber all das erfordert eine neue Ehrlichkeit. Vor allem mit uns selbst.


Ich weiß heute: In Zeiten, in denen ich vom Staat genommen habe, hätte ich etwas beitragen können. Ich hätte nur jemanden gebraucht, der mich daran erinnern würde: Du kannst. Trau dich.

 

Ein minimaler Staat braucht eine maximale Haltung. Er braucht Menschen, die sich trauen. Die Verantwortung wollen und können. Die nicht nur im staatlichen All-Inklusive-Hotel Rechte fordern, sondern sich fragen: Was kann ich beitragen?


Und ich glaube daran, dass viele Menschen diese Haltung in sich tragen, wenn man ihnen nicht alles abnimmt.

Denn wer Verantwortung übernimmt, spürt sein Leben auf eine andere Weise. Wer sich selbst trägt, erlebt Freiheit, und aus dieser Freiheit erwächst die Gemeinschaft.


Freiheit macht stark. Und Stärke verbindet. Es baut sich dann alles aufeinander auf, wie wenn man einen Dominosteinefall zurückspult.

 

Ich will keine Ellenbogengesellschaft. Ich träume von einer Gemeinschaft aus freien, verantwortungsvollen Menschen, die einander Rückenwind geben. Ein starkes Netz unter freien Seilen.

 

Minarchismus bedeutet für mich: nicht nur weniger Staat, sondern auch mehr Mensch.
Mehr Eigenverantwortung. Mehr Transparenz. Mehr freiwillige Solidarität, weil sie aus Überzeugung kommt. 

 

Ich wünsche mir ein System, das ermutigt.
Eines, das sagt: Du kannst. Geh los. Wir stehen hinter dir.
Und wenn du fällst, wirst du getragen. Und zwar nur so lange, wie du es wirklich brauchst. Zu deinem Besten.

 

Der minarchistische Libertarismus steht für genau diesen Gedanken. Ein Staat, der sich auf seine Kernaufgaben konzentriert: den Schutz der Grundrechte, Rechtssicherheit und die solidarische Absicherung in echten Notlagen. Z.B. nur Gerichte, Polizei, Armee, Krankenhäuser, Feuerwehr und Sicherung der absolut Schwächsten in Not werden vom Staat organisiert und getragen. Der Rest gehört in die Hände der Menschen, in den freien Markt. Dadurch sinkt die Steuerlast. Libertarismus, v. A. dessen anarchistische Variante, ist derzeit noch eine Utopie. Wichtige Fragen zur Justiz und Sicherheit sind weitestgehend ungeklärt. Dennoch beginnt jede Idee erst in den Fantasien. Und jeder Schritt in diese Richtung, und jeder Gedanke, der sich dahin vorantastet, ist fruchtbar. Dabei ist Minarchismus als Zwischenlösung sogar ziemlich lebensnah und schrittweise umsetzbar. Ich blicke da auf Argentinien, und kann aus eigener Erfahrung sagen - ich war dort im letzten August und habe mit verschiedenen Einheimischen geredet - wie produktiv diese Schritte sein können. Wie lebendig und empowert die Menschen dort wirken.

 

Vielleicht liebe ich dann auch meine Steuererklärung, wie mein argentinischer Guide-Kumpel, wenn ich weiß, dass mein Staat mir nur das Nötige nimmt, und das gebe ich gern.

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selbst;bewusst

Es gibt diesen Moment, da ist man raus.


Raus aus dem Flow, raus aus der Bewegung, raus aus dem natürlichen Drehen, wie ein Kreisel, der ins Stocken gerät. Und dann braucht es eine Kraft, um ihn wieder anzukurbeln. Eine kleine Kraft – aber sie wird so oft unterschätzt.

 

Diese kleine Ankurbelkraft ist entscheidend. Im Persönlichen wie im Politischen.

 

Denn dieses Herausfallen passiert nicht nur im Alltag, es ist auch ein Zustand unserer Zeit. Wir Menschen sind – wie Max Scheler sagte – aus der Natur als Denkende herausgetreten und sehen uns nun vor einem Abgrund. Wir sind nicht mehr in Hypnose wie die Tiere, die einfach sind. Wir dagegen können uns selbst beobachten, reflektieren, uns unserer selbst bewusst werden, oder eben auch nicht.

 

Wenn wir nicht bewusst reagieren, handeln wir wie in Trance. Dann sind wir bloß Reiz-Reaktions-Wesen. Wie Tiere. Und doch eben nicht. Unser Bewusstseinsniveau schwankt, mal sind wir ganz klar und präsent, mal reagieren wir wie im Autopilot. Und genau diese Schwankungen machen uns menschlich.

 

Daraus ergibt sich ein Auftrag: Selbstbewusstsein ist also nicht nur ein Auftritt, sondern ein Akt. Ein Prozess.
Selbstbewusst sein heißt: sich seiner selbst bewusst sein. Heißt, sich zu spüren. Zu wissen, was man tut. Warum man es tut. Und ehrlich zu fragen: Warum wirklich?

 

Das erste Warum ist oft schnell da: Geld.
Und warum das? Sicherheit.
Und warum das? Familie versorgen.
Und warum das? Gesellschaftliche Anerkennung.

Und warum das? 

 

Wie tief traue ich mich, in mich hinein durch die Kette der Warums zu graben? Irgendwo ganz tief liegen sie, unsere Werte, die uns quasi steuern – diffus, aber da.


Und genau deshalb geht es nicht um Werte, die wir uns plakativ auf die Fahne schreiben, sondern um die, die wir tatsächlich leben, oft unbewusst, aber dafür umso wirksamer.

 

Das hat auch Konsequenzen auf politischer Ebene. Jede Agenda, ob rechts oder links, verfolgt ein Ziel. Und auch wenn ich mich eher links von der Mitte aus verorte, weiß ich: Linkssein ist eine Agenda. Demokratie ist eine Agenda. Da liegt kein Wert darin automatisch begraben – der Wert entsteht erst in der gelebten Praxis.

Er entsteht dort, wo Menschen sich mit sich selbst und miteinander verbinden. Wo sie gemeinsam nach dem Warum fragen und bereit sind, ehrlich zu werden – mit sich und mit anderen.

 

Und hier kommt etwas ins Spiel, das oft unterschätzt wird: Unsere innere Haltung, unser Denken, unsere geistige Ausrichtung – sie sind nicht nur individuell bedeutend, sondern auch energetisch wirksam.

 

Was wir denken, wie wir denken, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten, das hat Folgen. Nicht nur psychologisch, sondern auch auf einer energetischen Ebene.

 

Alte Traditionen wussten das. Und moderne Formate wie NLP, Meditation oder Visualisierungspraktiken versuchen, dieses Wissen in abgespeckter Form wieder aufleben zu lassen – nur mit einem anderen Vokabular.

Die Kraft der Gedanken ist keine esoterische Floskel, sondern eine energetische Realität: Wer ständig im fremdgesteuerten Widerstand ist, erschöpft sich. Wer dagegen im Kontakt mit seinem echten inneren Warum steht, hat Zugriff auf eine andere Art von Energie. Es geht also nicht darum, sich durchzusetzen um jeden Preis, sondern die Handlungen bewusst zu steuern. Es ist Selbstführung – mit innerem Kompass statt Daueranspannung.

 

Wenn eines dieser tieferen Warums dann da ist, entsteht ein innerer Schwung, ein natürlicher Antrieb, ein Flow, der sich fast wie von selbst entfaltet – und dabei nicht nur uns selbst, sondern auch unser Umfeld mitbewegt.

 

Und genau hier wird auch klar, warum Selbstbewusstsein auf Menschen so attraktiv wirkt. Nicht nur, weil jemand sich perfekt inszeniert, sondern weil dieser jemand ehrlich seiner selbst bewusst ist. Weil wir spüren, dass da jemand im Einklang mit seinen inneren Werten handelt. Wir müssen die Person nicht zwangsläufig mögen, wir können ihre Werte gar verabscheuen, aber wir werden trotzdem anerkennen, dass da jemand im Einklang mit sich selbst ist. Diese Ehrlichkeit strahlt aus. Sie wirkt auf andere. Und in einer Welt, in der so vieles unecht ist, ist das eine Seltenheit, die uns – egal mit welchem Vorzeichen - berührt. Umso wichtiger ist es, für das eigene Warum einzustehen, sonst reißen es diejenigen an sich, deren Werte gefährlich sein könnten.

 

Dabei müssen wir das alles nicht unbedingt verkopft-erwachsen machen. Das Graben in der Warum-Kette ist nicht nur logisch, sondern auch assoziativ und spielerisch. Manchmal ist das Kindische besser: mit Neugierde und peinlicher Ehrlichkeit – genau dort, wo’s ein bisschen reibt.

 

Denn wenn nämlich alle nur dorthin rennen, wo die Reibung am geringsten ist, bleibt der Ort leer, an dem Reibung eigentlich nötig wäre. Unsere Aufgabe ist es nicht, Reibung zu vermeiden, sondern sie zu erleichtern – dort, wo sie richtig ist.

 

Aber das funktioniert nur, wenn wir soweit ehrlich mit uns selbst sind, dass wir auch erkennen, wo diese Reibung für uns und andere nötig ist. Und warum.

 

Und noch etwas zeigt sich in diesem Licht ganz deutlich:
Weil unsere Gedanken energetisch wirksam sind, zerbrechen äußere, auf die Fahne geschriebene Werte an ihrer eigenen Hohlheit, wenn nichts Echtes dahintersteht.


Energie lügt nicht. Was nicht getragen ist von einem echten inneren Warum, hält dem Druck nicht stand. So fällt Fassade nach und nach in sich zusammen – nicht weil jemand sie angreift, sondern weil sie sich selbst entleert.

 

 

Doch wenn wir diese kleine Ankurbelkraft in uns finden – in der Tiefe unserer Warums, im Vertrauen auf unser inneres Drehen dann kommt die Bewegung wieder zurück.

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