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Nadel im Arsch

Ich habe ein Problem mit dem Nichtstun.

 

Im Café einen Kaffee genießen, dann immer mit dem Buch dazu. Beim Aufräumen höre ich Audiobücher oder ziehe gleich Sportklamotten an und räume so richtig schnell auf, mit ein paar integrierten Squats und kurzen Sprintstrecken zwischen den Regalen. Die Stimme in den Kopfhörern erklärt mir währenddessen geduldig die Grundlagen der Quantenphysik. Drei Fliegen mit einer Klappe.

Ich erledige Dinge auf dem Weg und plane penibelst die Route für das Einkaufen, Post und all das andere, um nicht zweimal gehen zu müssen. Ich trage die Einkaufstaschen alle auf einmal aus dem Auto, obwohl es wahrscheinlich schneller wäre, zweimal hinzugehen. Wenn ich dann vor Erschöpfung in der Mitte der Strecke stehen bleibe, geht die Rechnung von vorne los. Also doch alle Tüten auf einmal oder ab hier lieber zwei Mal gehen? Lange nachzudenken wäre an der Stelle auch ein Zeitverlust; also entscheide ich mich für zweimal hin und her. Die halbe Strecke habe ich mir immerhin gespart.

 

Ich versuche also alle Entscheidungen – das habe ich aus einem Produktivitätsbuch gelernt – innerhalb von 30 Sekunden zu treffen. Ist auch berufsbedingt. Ich bin Theaterregisseurin; da muss es auf der Probe richtig schnell gehen, auch wenn man noch nicht alle Folgen abschätzen kann. Welches Timing? Welche Stimmung? Wer geht wo ab? Welches Licht? Musik: ja oder nein? Zack, zack, zack.

 

So auch jetzt.

 

Ich habe innerhalb von zwanzig Minuten sechs Mails rausgehauen und damit alle Theateraufträge für die kommenden zwei Jahre abgesagt, meinen Terminkalender entsorgt und mich direkt in dieses Buch reingeschmissen. Zwanzig Minuten und das Leben sieht ganz anders aus.

Ich war Theaterregisseurin.

 

Eine Freundin von mir sagt immer, sie weiß, wenn ich anrufe, nie, was jetzt zu erwarten ist. Ich glaub, das ist die Quintessenz meines Lebens. Ich schmeiße mich permanent in verschiedenste Dinge rein und verliere dann das Interesse, vor allem wenn mir etwas gut gelingt. Eine Google-Diagnose dazu heißt Scannerpersönlichkeit; oder wie meine russischen Eltern es ausdrücken: eine Nadel im Arsch.

In unserer Zeit wird das als ungesund angesehen, als eine Unfähigkeit, sich zu entspannen. Das mag sein. Aber ich kann einfach nicht anders; auch nicht nach fünf verschiedenen Therapeuten. Der Stillstand ist für mich wie Tod. Ich muss das wohl annehmen.

 

So wie ich in den letzten dreißig Jahren viele Dinge anzunehmen gelernt habe: mein Aussehen, meine Stimme und eben auch meine Nadel im Arsch.

 

Ich wurde als Kind mal gefragt, was ich werden möchte. Montags Lehrerin, dienstags Archäologin, mittwochs Astronautin, donnerstags Schauspielerin und freitags Schriftstellerin.

 

Es hätte eigentlich schon da läuten können, dass es so in der Spezialistengesellschaft schwierig werden wird. Doch ich habe auf das Ende der Woche gesetzt und hab mich in das Theaterleben reingeschmissen. Ich wollte Kunst machen, habe immer nach Formen und Wahrhaftigkeit gesucht, nach einer gesellschaftlichen und politischen Relevanz; und dabei die schönsten Momente meines Lebens als die nervigen Bushaltestellen auf dem Weg zum großen Ziel gesehen.

 

Vielleicht war mir deswegen danach, als ich das Ziel mit einem Schlag auslöschte, mich umzuschauen auf all das, was war. Was eigentlich die ganze Zeit passierte, während ich in Endlosschleife mit dem Kopf durch die Wand rannte.

 

Ich glaube nicht, dass ich Ruhe und Gelassenheit lernen kann; und ich weiß auch nicht, ob ich das möchte. Aber ich würde gerne in diesem Kaleidoskop, den ich die ganze Zeit selbst ankurbele, unterwegs die Momente sehen und sagen: Schau, das ist doch eine schöne Kombination. Und dann wieder weiterdrehen.

 

Schreiben ist für mich produktives Denken; ohne destruktive Gedankenschleifen. Ohne destruktive Gedankenschleifen. Ohne destruktive Gedankenschleifen.

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