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Ball-Theorie

 

- Gedanken in Entstehung; dieser Beitrag wird noch ergänzt -

 

Die gesellschaftlichen Diskurse werden heute immer erbitterter geführt. Die Fronten verhärten sich. Man hört einander nicht zu; man schreit sich an. Die Deutungshoheit wird proklamiert. Der Gegenüber soll mundtot gemacht werden. In diesem Prozess verschwimmt die Grenze zwischen menschenverachtenden Inhalten und wissenschaftlichen Fakten.

 

Ein Beispiel dafür ist die Debatte um Body Positivity. Kennst du die Unbubble-Folge, in der Dr. Felix, ein Arzt, als einziger Wissenschaftler in der Runde auf die Gefahren von krankhaftem Übergewicht hingewiesen hat? Interessanterweise wurde er im Nachhinein von der Mehrheit der Zuschauer als „die Stimme der Vernunft“ wahrgenommen – das zeigten zahlreiche Kommentare und Reaktionen.

 

Doch während der Folge sah es für Dr. Felix ganz danach aus, als würde danach ein Shitstorm über ihn ausbrechen, deswegen schrieb er auch vorsorglich einen Kommentar unter dem gerade veröffentlichten Youtube-Video, dass es ihm leid tue und dass er sich gerne besser erklären würde.

 

Wahnsinn, oder? Ein Arzt musste in einer Runde, wo jeder selbstverständlich auf seinem Standpunkt bestanden hatte, ganz vorsichtig erklären, in einem fast entschuldigenden Ton, dass ein hohes Übergewicht medizinisch nun mal ungesund sei.

 

Was in dieser Folge auch kurz zur Sprache kam, allerdings nachträglich kaum diskutiert wurde von lauter Aufregung, ist die Body Neutrality; das ist ein durchaus interessantes Konzept. Wenn Body Positivity salopp gesagt meint, dass jeder Körper schön ist, will Body Neutrality dahin, dass die Körper gar nicht nach Schönheit beurteilt werden sollten. Unter anderem ist deren Argument, dass es absurd wäre, sich einzureden, man wäre schön, wenn man’s nicht wirklich spürt. Gegen die Body Neutrality, so schön das Konzept auch ist, spricht die Tatsache, dass wir biologisch als Spezies uns durchaus an der Schönheit orientieren. Was Hoffnung verspricht, ist, dass sich die Körperideale allein auf der letzten Strecke der Menschheitsgeschichte schon mehrfach verändert haben, und heroin chick nicht als non plus ultra im Raum stehen soll.

 

Medizinisch betrachtet, lautet - Stand heute - unsere Erkenntnis über das Gewicht, dass die Extreme schädlich sind (wie es auch sonst so oft der Fall ist); gleichzeitig wird es der Wissenschaft vorgeworfen, mit zu einfachen Messinstrumenten zu agieren, wie BMI, wo zwischen Fett und Muskeln nicht differenziert wird.

 

Wer hat also recht? Um das festzustellen, müssten wir die beiden Gegenpositionen im Diskurs klar definieren, was durchaus tricky ist. Das Gegenpendaunt zu Body Positivity wäre sowas wie Schönheitsidealexklusivität. Nur die normschönen Körper sind schön, alle anderen Körper sind es nicht. Doch diese Position hat in der Unbubble-Runde keiner vertreten.

 

Wenn wir überhaupt zwei verschiedenen Positionen zulassen, was selten der Fall ist, sehen wir in solchen Debatten oft fünf Menschen pro und einen contra. Man redet dann aneinander vorbei, versucht sich argumentativ zu übertrumpfen, gleichzeitig will sich niemand in seiner Position angegriffen sehen, schon gar nicht öffentlich. Wenn’s hart auf hart kommt, spricht man sich die Deutungshoheit zu; das ist die ultimative Karte, wenn die Argumente ausgehen. Was dazu führt, dass wir im Fernsehen immer solche Gespräche sehen, die eigentlich gar keine Gespräche sind.

Das nehmen wir in uns auf und reagieren im Privatumfeld genauso. Wir streiten bis zum geht nicht mehr, und sehen selten Dinge in den Gesprächen ein, wenn überhaupt, dann hinterher.

 

Was ist der Nutzen von so einem Gespräch, der zu keinem Konsens führt? Höchstens, dass man im Sprechdenken seine eigenen Argumente schärft. Der Fokus eines solchen Gesprächs liegt darin, sein Gegenüber als Stichwortgeber zu missbrauchen, und die Dritten – das Publikum, falls das Gespräch öffentlich ist, zu überzeugen.

 

Ich habe nicht umsonst das Thema Body Positivity als Beispiel genommen. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich war dick. Bis ich 23 Kilo in weniger als einem Jahr abgenommen habe. Mithilfe von gesunder Ernährung und Sport, und mit Unterstützung einer Ernährungsberaterin. Bin dabei von Übergewicht zu Untergewicht gegangen, es fühlte sich im heroin chick Körper richtig gut an nach langen Jahren des Versteckens (Wobei auch da belüge ich mich; ich sah und sehe mich im Spiegel noch immer als dick, die Psyche kann es auch nach Jahren nicht richtig verarbeiten). Ich nahm also immer weiter ab, bis meine Fingerkuppen mehrmals am Tag taub wurden. Dann fuhr ich meine Ernährung vorsichtig wieder hoch, auf eine gesunde Mitte. Mittlerweile habe ich 8 Kilo mehr von dem untersten Gewichtspunkt auf den Rippen, und halte es seit über zwei Jahren. Body Positivity hat mir nichts in Bezug auf mein Körpergewicht gebracht, ich sah mich im Spiegel und fand mich hässlich, wie viele auch immer dicke Frauen in Unterwäsche mir von den Plakaten in der Innenstadt zulächelten.

 

Warum habe ich das alles nicht gleich zu Beginn dieses Beitrags erwähnt? Weil ich die Deutungshoheit verabscheue, weil sie dann zu schnell mit der Opfermentalität und mangelnden Argumenten zusammenfällt. Weil sie keine gesunden Gespräche gebären kann.

 

Und doch bin ich für eine Sache – so unbedeutend sie auch sein mag, der Body Positivity Bewegung dankbar. Nach der Schwangerschaft hatte ich abgesehen von dem starken Übergewicht, bzw. als Folge dessen, dass meine Haut bei meinem sich im Sekundentakt ausdehnenden Körper nicht hinterherkam trotz aller Cremes und Öle viele Dehnungsstreifen auf den Oberschenkeln, die wirklich sichtbar sind. Da kam ein Insta-Post, der meine Eigenwahrnehmung bis heute prägt. Eine Frau hat ihre Dehnungsstreifen zur Schau gestellt und sie mit Glitzer geschmückt, wildschön wie ein Zebra, stand drunter. Seitdem suche ich mein Bikini nicht mehr nachdem aus, was die Streifen am besten versteckt, sondern nach der Form, die mir gefällt. Das war ein Post. Vor über 7 Jahren. Und er kam von der anderen Seite dieses Diskurses.

 

Ich finde es auch wichtig, die Menschen mit Behinderungen in dieser Debatte sichtbar zu halten. Das ist übrigens auch einer der Verdienste der Body Positivity Bewegung.

 

Man kann also festhalten, dass es durchaus sinnvoll ist, körperliche Merkmale, für die Menschen nichts können, in einem neuen Licht darzustellen, oder diese zumindest zu normalisieren. Doch dann wird auch Übergewicht in diese Liste untergeschmuggelt. Dabei ist es in seltensten Fällen auf eine Krankheit reduzierbar.

 

Man kann auf der anderen Seite aber auch festhalten, und das sollte allgemein zum guten Ton in jedem Miteinander gehören, dass niemand wegen seines Aussehens, natürlich auch wegen des Übergewichts, blöd angegangen werden darf. Allerdings ist es genauso wichtig in öffentlichen Diskussionen auch die Gefahren der beiden Extreme des Über- und Untergewichts zu betonen.

 

Was aber oft passiert in solchen Diskursen, und diese Tendenz finde ich wirklich gefährlich, dass die tatsächliche Diskriminierung relativiert wird.

Dr. Felix wurde Fettfeindlichkeit unterstellt. Mehrmals hintereinander. Man setzte damit einen Arzt, der an einen gesunden Lebensstil appelliert, mit einem Menschen gleich, der sich auf Straße einen abfälligen Kommentar über das Körpergewicht einer vorbeigehenden Person erlaubt.

Das lässt sich auf jeden anderen Diskurs, wie auch auf Rassismus, Queerfeindlichkeit oder Sexismus, auf Rechts-Links Debatten, aufs Gendern usw. usf. übertragen.

 

Ist ein Mensch, der sich die Braids flechten lässt, gleichzusetzen mit einem Menschen, der an menschenverachtende Rassentheorien glaubt? Ist jemand, der zur Vorsicht bei den Geschlechtsumwandlungen und Hormontherapien bei Minderjahren aufgrund der teils unumkehrbaren Folgen mahnt, wirklich gleichzusetzen mit einem Menschen, der Transpersonen aus Hass verprügelt? Ist ein Mensch, der sich mehr Kontrolle bei der Einwanderungspolitik wünscht, ein Nazi? Ich möchte nicht durch eine Frauenquote, sondern durch meine Kompetenzen den Job bekommen, bin ich reaktionär und antifeministisch?

 

In öffentlichen Debatten wimmelt es von lauter Ismen, die viel zu viele Menschen meinen, und damit keinen so richtig. Und keine Einigung in Sicht.

 

Wie könnte also eine gelungene Debatte stattfinden? Ein Versuch.

 

Schon seit Urzeiten haben die Philosophen versucht, das Problem der gegensätzlichen Positionen aufzulösen. Der erste große Durchbruch auf diesem Gebiet gilt Hegel und seiner Dialektik.

 

 

- hier kommt noch was zu Hegels Dialektik, bis dahin ist hier eine super Zusammenfassung -

 

Wir versuchen also die These und die Gegenthese in der Synthese aufzuheben. In zwei Sinnen: Die beiden einzelnen Positionen aufzuheben – also aufzulösen und sie auf eine neue Stufe aufzuheben, also aus dem Mix der beiden Thesen etwas neues zu erschaffen. So weit, so abstrakt. 

 

- hier kommt noch ein Beispiel - 

 

Gehen wir mal den Weg mit Hegel mit und schauen, wohin er uns führt. Gleich kommt es zu der ersten Herausforderung, nämlich, die tatsächlichen Gegenpositionen im Sinne der These und der Antithese in einem Diskurs zu definieren.

 

Kehren wir zum Beispiel der Body Positivity Debatte mit Dr. Felix zurück:

 

Position A: Jeder Körper ist schön.

Position B: Extreme sind aus medizinischer Sicht ungesund.

 

Das ist kein Widerspruch. Eine logische Antithese zu Position A wäre:

Position C: Nicht jeder Körper ist schön.

 

- hier führe ich noch Logik nach Aristoteles i.V.m. Hegel aus, bis dahin schaut hier vorbei -

 

Doch sagt das unser Arzt wirklich? Er argumentiert nicht mit Schönheit, sondern mit Gesundheit. Wird aber von der Frau mit der Position A in die Position C eingeordnet (da sie ihn als gegensätzlich zu sich wahrnimmt). Vertritt sie selber aber tatsächlich die Position A? Das wäre anzuzweifeln. Es kommt in der Sendung nicht zur Sprache, aber ich würde einfach mal ein paar Unterstellungen machen. Würde sie einen ungeduschten oder einen ungepflegten Körper schön finden? Auf welcher Seite des Spektrums steht sie in Bezug auf die Körperbehaarung? Die Körperpflege ist etwas Kontrollierbares, könnte man sagen, und gehört nicht in diese Debatte hinein. Dann sag das einer alleinerziehenden Mutter, die vor lauter Arbeit und Kinderpflege zu gar nichts kommt, was ihr und ihrem Körper guttun würde. Ich könnte auch entgegnen, das Gewicht wäre kontrollierbar, in den allermeisten Fällen; nur wird man halt nicht nach einer Woche gesunder Ernährung und einem Mal im Fitnessstudio Fortschritte sehen. Nach einem halben Jahr aber schon.

 

Doch wir schweifen ab. Die Positionen A und C bilden also die Eckpunkte eines Diskurses, die These und die Antithese.

 

Es könnte so aussehen:

Jeder Körper ist schön<----------|Frau|--------|Arzt|-----------> Nicht jeder Körper ist schön.

 

Vielleicht ist es auch genau umgekehrt, weil der Arzt toleranter gegenüber Körperunperfektheiten im Sinne der Schönheitsempfindung ist, als die übergewichtige Frau.

 

Diskursball als mögliche Betrachtungsweise (mal ne schnelle Skizze):

 

 

Der Diskursball ist eine Metapher, mit der ich die Diskurse anschaulicher abbilden möchte.

 

Der Ball entsteht aus zwei Gegenpositionen als Pole, die durch unzählige Kurven auf der Oberfläche des Balls verbunden sind. Diese Kurven repräsentieren Unterdiskurse, die wiederum von den Werten im Inneren des Balls gesteuert werden.

 

Zwei oder mehr Personen, die diskutieren, bewegen sich innerhalb desselben Balls. Sie suchen nach Überschneidungen auf den Kurven im Äußeren (also Meinungen bzw. Standpunkten) und nach gemeinsamen Werten im Inneren.

 

Was setzen wir also mit dem Ball voraus:

 

1. Gemeinsamer Raum: Beide Positionen müssen im selben Ball verortet sein. Ohne diesen gemeinsamen Raum entstehen keine Annäherungen, wie es etwa in der Unbubble-Folge geschah, in der parallele Diskussionen stattfanden.

 

2. Kurven analysieren: Die Punkte auf den Kurven der Balloberfläche müssen genauer betrachtet werden. Je mehr wir über das Thema wissen, desto klarer können wir diese Punkte für sich festlegen und diskutieren, desto mehr Kurven (Unterdiskurse) können wir überhaupt identifizieren.

 

3. Werte offenlegen: Bewertungskriterien führen von innen nach außen. Liegen alle Punkte an einem Ende des Balls, weist dies auf einen zentralen inneren Wert hin, der zu diesen Ansichten im Äußeren führt. Dieser Wert kann festgestellt und hinterfragt werden kann. Sind die Punkte ungleich verteilt, könnten:

  • Einzelne Aspekte überbetont sein. Hier hilft es, einen weiteren verbindenden Wert zu definieren.
  • Zusätzliche Werte eine Rolle spielen, die in die Diskussion eingebracht werden sollten.

Der Diskursball macht sichtbar, dass echte Überschneidungen und Konsense möglich sind – sowohl in den Argumenten als auch in den zugrunde liegenden Wert; und damit ist er der erste Schritt auf der Suche nach einem gemeinsamen Nenner.

 

 

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