Ich habe immer versucht, einerseits nicht aufzufallen, und eine von euch zu sein; und andererseits wusste ich natürlich Bescheid, dass ich Russin bin. Es hat mich aber nie zu Ende definiert. Ich habe mich als eine Einwanderin, als eine Nicht-Muttersprachlerin gesehen, die‘s wagt, ebenbürtig mitzuspielen. Ich wollte keine Migrantenstoffe auf die Bühne bringen, weil ich mich dessen nicht würdig sah; dafür bin ich doch zu privilegiert.
Ich habe selten meine Herkunft thematisiert, es waren fast immer die anderen. Mit den ganzen Russenwitzen und mit dem: Wie viel Wodka kannst du trinken? Glaub mir, genug. Mehr als du. Nicht, dass ich stolz drauf bin, aber ich habe in den jungen Jahren einige Jungs unter den Tisch getrunken. Naja, bisschen stolz bin ich vielleicht schon. Weil ich gerne das Gegenteil beweise, wenn mir Dinge nicht zugetraut werden. Und wenn‘s mit Alkohol sein muss. Mit achtzehn war mir das auch recht. Wir haben teilweise bis sechs Uhr morgens gefeiert, kurz nach Hause duschen und dann direkt in den Unterricht. Heute schau ich innerlich kopfschüttelnd drauf zurück, wie ich nach fünf Maß Bier am Oktoberfest um acht Uhr morgens eine Matheklausur mit einer Eins geschrieben hab, und weiß nicht, wie das gehen konnte; der Dozent war übrigens im gleichen Zelt und hat gesehen, wie ich versucht habe, das sechste Maß zu exen und das Bier dabei mächtig daneben geflossen ist. Sein Blick beim Klausurblätterausteilen druckte eine Mischung aus Mitleid und Verachtung aus. Bei der Notenverkündung eine Woche später blieb er neutral, aber ich habe das kaum wahrnehmbare Lächeln in den Augen gesehen. Naja, wer kann, der kann. Wäre es eine Rechtsklausur gewesen, sähe es sicher anders aus. Die habe ich nämlich auch nüchtern zweimal verhauen.
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