Ich hasse Autobahnen fahren. Noch seit der Fahrschule. Es geht schon mit dem ersten Einfädeln los, da beginnen meine Hände zu schwitzen. Ich kann dem kleinen Spiegelbild im linken Spiegel bei hundert km/h irgendwie nicht trauen.
Das Ferienlager meiner Tochter war nun aber in der benachbarten Stadt, also suchte ich eine Landstraßenroute ohne Autobahnen und fuhr los.
Auf dem Rückweg habe ich mich aber verfahren und sah die Autobahnschild, als ich nichts mehr an der Tatsache ändern konnte, dass ich nun auf die gleiche Autobahn abbiege, auf der ich mit noch mehr verschwitzten Händen vor zwei Jahren meine Fahrprüfung gefahren bin. Ich fahre rechts hinter einem LKW, um die neunzig km/h und möchte mich gar nicht rühren. Es wird unerträglich heiß, obwohl’s draußen frisch ist. Bella Ciao im Auto. Ich stell's lauter, um die nervösen Gedanken zu übertönen; fahre die beiden Fenster etwas runter. AC ist viel zu langsam. Der Wind saust im kurzen Haar. Ich atme tief ein und aus; immer hinter dem LKW mit genug Sicherheitsabstand, aber nicht allzu viel, damit sich keine verrückten Abbieger vor mir reinquetschen.
Und dann passierte das. Auf der linken Spur. Ich sah eine Taube auf dem Boden. Die wurde von einem Auto angefahren. Sie lebte noch. Wahrscheinlich war nur ein Flügel gebrochen. Ein weiteres Auto kam gerade angerast, als die Taube mehrmals verzweifelt versuchte wieder hochzufliegen. Das war ein Kampf. Sie sah für mich kurz aus, wie ein kleiner Phönix, der gerade aus der Asche wieder hochflattert. Leider war sie aber nur eine Taube. Das Auto bremste nicht, wich nicht aus, sondern fuhr direkt in das hochfliegende Geschöpf rein. Ich hörte ein leises Wums durch die geöffneten Fenster, die Taube zerfiel in viele kleine Feder, den Körper hab ich gar nicht mehr gesehen. Eine Feder flog durch das geöffnete Fenster rein. Es hat mich zutiefst berührt; dieser hoffnungslose Kampf auf dem schonungslosen Asphalt der Autobahn.
Die Worte meines Fahrlehrers gingen mir durch den Kopf – auf den Autobahnen bin ich sowieso anfälliger für Geister aus der Vergangenheit – sollte ein Tier über die Autobahn laufen, halte dein Lenkrad fest und fahre rein. So wie das Auto auf der linken Spur. Andere Handlungen sind nur möglich, wenn du problemlos umlenken oder ausweichen kannst. Beides war nicht gegeben. Rechts von diesem Auto fuhr ich; ich frage mich bis heute, wie es gewesen wäre, wenn ich an Stelle dieses Autos links fahren würde. Könnte ich das Lenkrad festhalten und einfach in dieses kleine kämpfende Geschöpf reinfahren? Oder würde ich lenken und die ganzen Menschen, die zur Arbeit, nach Hause zu den Kindern oder zu einem Treffen mit Freunden fuhren in Gefahr bringen wegen einer sterbenden Taube? Ist etwas Utilitarismus an dieser Stelle nicht angebracht? Schließlich habe ich dem Auto links von mir zu verdanken, dass ich nach Hause gekommen bin, wo auf mich gewartet wurde. Doch diese kleine Feder ließ mir den ganzen Tag keine Ruhe.
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