Es ist zu laut.
Ich ersticke im Stimmenwirrwarr der gut gemeinten Ratschläge.
Jeder ist ein Coach; jeder weiß es ganz genau.
Erfülle deine Träume. Das Problem ist gerade nur, dass ich nicht weiß, was ich erfüllen soll.
Ich muss täglich in mich hineinspüren. Nein, lieber loslassen. Nee. Erst die Wünsche visualisieren; oder nein, penibelst aufschreiben, Listen und Kalender machen. Plane deinen Tag, sonst verharrst du in deiner Mittelmäßigkeit. Aua.
Bücher springen mich an; die Videos in YouTube werden unerträglich. Jede einzelne Notification auf dem Handy ist, als würde ich auf dem Balkon sitzen, und plötzlich springt jemand über die Geländer drauf, wedelt wild mit den Armen und schreit mir die neuesten Updates direkt ins Gesicht. Hey, hast du gesehen? Hier! Jetzt! Dringend! Selbst ohne Social Media gibt es genug davon. Es gibt immer genug davon.
Ich habe in den letzten drei Jahren – nach vielen, meistens von menschenverachtenden Arbeitsbedingungen in den Theatern ausgelösten, kleinen und großen Krisen – viele Ratgeber gelesen. Und wenn ich sage viele, ich meine VIELE. Mindestens 30 Stück. Dazu kommen fünf Coaching-Einheiten, die mich – außer in ein finanzielles Loch – nirgendwohin gebracht haben. Und wenn ich jetzt daraus etwas zitieren soll, fällt mir erstaunlicherweise wenig ein, was über Social-Media-Empowerment-Zitate hinausgeht.
Der Höhepunkt der ganzen Geschichte war ein Coach, der mir nach zehn Minuten Zoom ADHS diagnostizierte und gesagt hatte, ich solle mich unbedingt fokussieren und meine Projekte reduzieren, weil es so nicht möglich sei. Komisch; bisher ging es irgendwie. Ich muss einen detaillierten Zwei-Wochen-Plan erstellen.
Dafür stehe ich motiviert am nächsten Tag um fünf Uhr morgens auf. Um sieben Uhr, wenn ich die Brezen für meine Tochter in den Ofen schmeiße, bin ich damit nicht fertig und werde frustriert und nervös. Ich soll alles Unnötige rausstreichen. Gesagt – getan.
Ich strich meinen Coach raus.
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