Ich bin eine durch und durch emanzipierte Frau, außer wenn es um die Insektenbeseitigung geht; oder um schnell fliegende Vögel. Ziemlich unpraktisch, wenn man selber (gerettete) Vögel zuhause hat, die ab und zu freifliegen.
Ich verbrachte mal als fünfjähriges Kind eine Stunde in einer Ein-Quadratmeter-Toilette, weil eine Hornisse in Omas Wohnung reingeflogen ist. Die Oma war kurz einkaufen. Das Geschäft war sofort die Straße runter; aber die Straße war voller Bänke mit den draufsitzenden Omas, die alle, die vorbeigingen, entweder bequatschten oder beleidigten (oft zwar hinter dem Rücken, aber so laut, dass der Rücken, den’s betraf, alles hörte). Diese Omas haben oft die Pünktlichkeit meiner Oma gefährdet. Ich gehe nur kurz einkaufen. Vielleicht war das auch keine Stunde, die ich in dieser Minitoilette verbrachte, während es in der Wohnung immer noch laut summte. Wahrscheinlich waren es höchstens zwanzig Minuten. Es fühlte sich aber ewig lange an. Ich hatte sogar Angst, dass meine Oma überfahren wurde; und das auf einer kleinen Straße, wo kaum jemand schneller als dreißig fährt, vor allem weil’s so eng und so schlecht gepflastert ist. Nun ja, die Oma kam unversehrt zurück, aber nach einer halben Ewigkeit. Sie fand die Hornisse, holte den Haarspray und sprühte so lange, bis die zusammengeklebte Hornisse zu Boden fiel. Sie schien erst einen Moment in der Luft eingefroren, als konnte ihr die Gravität gar nichts, dann plumpste sie runter. Ich schaute die ganze Zeit vorsichtig aus der Toilettentür raus. Meine Oma war für mich eine wahre Heldin in diesem Moment. Mit einer Spraydose gegen ein Insekt bewaffnet, wie eine Ritterin gegen einen Drachen. Gegen ein Insekt, der letztens einen Mann aus dem Nachbardorf gestochen hat, der dann verstarb. So zumindest das Oma-Radio von den Bänken. Wer weiß, was da wirklich passiert war. Vielleicht hatte der Arme eine Allergie. Oder Pech. Oder es gab ihn gar nicht.
Und doch wenn ich an starke Frauen denke; so denke ich an meine Oma mit dieser Haarspraydose. Und nicht nur das. Auch weil sie ohne Schulabschluss und als Halbwaise ihr Leben machte, sich durchkämpfte, eine angesehene Bäckerin wurde, die Liebe ihres Lebens heiratete, die Kinder alleine aufzog – er war Seemann und viel unterwegs, und dann musste sie ihn auch noch sehr früh beerdigen. Sie liebt ihn immer noch. Wir waren oft am Friedhof und stellten ihm auf dem Rückweg eine Kerze in der kleinen Kirche. Es war aufwühlend, sie oft weinen zu sehen. Aber es immer noch ehrlicher, als wie es meine Eltern handhabten: Der Opa ist sehr weit weggereist.
Meine Oma, diese Frau, die mit fast achtzig Jahren immer noch den Berg zum Meer runterjoggt, mit gebrochenem Arm kocht und den Hügel mit dem Fahrrad runterflitzt, ohne zu wissen, wie man es bremst, und hinfallt, sich die Hüfte prellt, und in ein paar Stunden wieder auf den Beinen ist. Und wieder lecker kocht. Und keinen in die Küche lässt.
Man sagt, ich hätte ihren Körperbau geerbt. Wahrscheinlich war da der Nadel im Arsch inklusive. Wenn ich dann so alt bin wie sie, möchte ich genauso fit im Kopf und im Körper sein. Sie ist mein Vorbild.
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