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Kleeblattverzweiflung

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit ein vierblättriges Kleeblatt zu finden? Google sagt: Eins zu zehn Tausend.

 

Ich habe meine Tochter nach der Schule abgeholt. Beziehungsweise, ich habe versucht sie abzuholen. Sie wollte aber noch nicht gehen; sie suchte Edelsteine im Gras neben der Schule. Sie war damit ziemlich erfolgreich und hatte ein Dutzend bereits in der Hand, die sie mir als erstes stolz demonstrierte. Ich setzte mich neben sie und schaute in das tiefe Gras; wo kamen die denn überhaupt her? Schnell wurde ich ziemlich frustriert, wo ich immer noch nichts gefunden habe, während die Hand meiner Tochter immer voller wurde. Dann switschte ich um; der Hügel war voller Klee, also suchte ich von nun an nach einem Glücksblatt. Fünf Minuten hat es gedauert. Und Voilá: Ich hatte die begehrte Anomalie in der Hand. Mittlerweile trocknete der Blatt aus; im Dostojewskis Buch; musste ich erstmal wieder suchen, da ich vergessen hab, in welches Buch ich ihn zum Trocknen gelegt hatte. Gebrüder Karamasow. Müsste ich mal frischlesen. 

 

Ich weiß noch, dass ich als Kind ein sechs- oder sogar siebenblättriges Kleeblatt gefunden habe. Vielleicht auch nur fünf, meine Erinnerung ist leider ziemlich... Bleiben wir mal bei Sechs als einem angemessenen Mittelding. Laut Google liegt die Wahrscheinlichkeit dafür bei eins zu Million, allerdings kenn ich viele Leute, die auch schon sowas gefunden haben. Solche alles-ist-möglich Hochs bringen mich immer wieder auf den Gedanken, dass die Wahrscheinlichkeiten im echten Leben relativ sind. Deswegen habe ich auch durch meine sporadischen Lottoausflüge bestimmt schon an die hundert Euro versenkt. Entweder vor dem Neujahr oder an einem Tiefpunkt; immer, wenn‘s knapp oder aufregend war, hab ich mir ein Schein gekauft. Das Höchste, was ich dabei gewonnen habe, waren vier Euro in Diridari, die ich gleich wieder in zwei neue Scheine versenkt habe, weil ich das als Zeichen gedeutet habe, es gleich nochmal zu versuchen. Ich glaub mittlerweile, dass das Universum, wenn überhaupt, mir ein Zeichen gibt, meinen Scheiß selber auf die Reihe zu kriegen. Manchmal gibt‘s aber auch Goodies; wie die fünf Tausend zum Tanken. 

 

Und ich habe sogar zwei Mal auf der Straße Geld gefunden. Beide Male war’s eine ziemlich skurrile Geschichte: einmal fand ich am nächsten Tag nach einer Ich-Bin-Ein-Magnet-Für-Geld-geführter-Einschlaf-Meditation (ja, für mich ist Esotherik kein Schimpfwort, bei der Gelegenheit erzähle ich mehr) auf der Straße zwei Scheine schön in einander gefaltet, 15 Euro, direkt vor meinen Füßen auf dem Weg zur Arbeit; das traf sich umso besser, weil ich meinen Geldbeutel zu Hause vergessen hatte, und mir jetzt aber einen Kaffee mit Kuchen holen konnte vor dem langen Theaterarbeitstag.

 

Beim zweiten Mal träumte ich von den vielen 2 Euro-Münzen auf dem Boden neben einem Einkaufswagen neben der Edeka am Regensburger Bahnhof; 18 Stunden nach dem Traum war ich mit meiner Tochter in diesem Edeka und schielte verspielt und innerlich schon kribbelnd-erschrocken zu dem Einkaufswagenabstellplatz aus meinem Traum. Da lagen knapp 14 Euro in Münzen, an genau derselben Stelle, rechts hinten, wie im Traum, die meisten davon waren 2 Euro-Münzen. Als ich meinem Mann davon erzählte, meinte er, ich wäre eine Hexe; womit er nicht ganz falsch liegt. Ich übe noch.

 

Ich kehrte gedanklich ins hier und jetzt, weil mich mein Rücken nach einer Bückpause bat. Ich stand tatsächlich schon so lange gebückt, etwas im Gras suchend, dass andere Eltern neugierig in meine Richtung schielten. Schließlich habe ich mich unwohl gefühlt, fast schon beobachtet; und sprach die Frau an, die mir am nähesten stand, so quasi stellvertretend für die gesamte Elternschaft des Regensburger Stadtparks. 

Ich suche ein vierblättriges Kleeblatt. Meine Tochter und ich haben letztens auch eins gefunden. Das war fast nicht gelogen. Wenn eine Erwachsene kein Kind dazu braucht, um im Gras rumzuwühlen, ist es trotzdem nett, wenn das Kind nebenan spielt, so sind sie quasi zusammen, und die Erwachsene wirkt weniger schräg. Meine Tochter suchte schöne Herbstblätter – eine bei weitem befriedigendere Beschäftigung als diese Suche nach dem Kleeblatt. „Ich habe noch nie eins gefunden“ entgegnete die Mutter.

Ich bin eigentlich gut darin. Dachte ich zumindest. Letztes Mal hat’s 10 Minuten gedauert. In unserem Schulgarten. Aber im Stadtpark wächst wohl kein Glück.

 

Ich habe bereits die zweite Suchtstunde angebrochen. Nach dem letzten schnellen Erfolg, wollte heute einfach kein Glück mehr gefunden werden. Meine Tochter schlug eine Wette um einen Euro vor, sie wettet, dass ich nichts finde. Liebend gerne. 

 

Noch eine halbe Stunde verstrich. Ich versuchte das Suchen mit einer Pilatespose zu verbinden, die Beckenboden und Waden stärkt und dehnt. Ich sah sowieso absurd aus, und so war das wenigstens auch gesund. 

 

In einer der kurzen Pausen wandte ich mich an den kleinen Allwissensenden aus meiner Hosentasche. „Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit nach einer Stunde Suche ein vierblättriges Kleeblatt zu finden?“ Über 70 Prozent? Es wurde immer frustrierender. Und in 2 Stunden? 140 Prozent? Chat GPT kannte sich mit statistischer Wahrscheinlichkeitsrechnung nicht wirklich aus, also musste ich als ehemalige Statistik- und Mathenachhilfelehrerin eingreifen. Wir einigten uns auf die Wahrscheinlichkeit von etwas über 60 Prozent, da ich ja auch nicht jedes vierblättrige Blättchen auch tatsächlich sehen werde, selbst wenn er da so ganz statistisch normalverteilt aus der Erde sprößt. 

 

Besser wurde meine Laune durch diesen statistischen KI-Ausflug jedoch nicht. Ich biss die Zähne zusammen und setzte die Suche fort. Es ging schon weder um das Kleeblatt an sich, welches ich in mein nächstes Malexperiment integrieren wollte, noch um die Ein-Euro Wette, es ging um das Prinzip.

 

Meine Tochter fragte währenddessen das Chat GPT wie sie ihre Wette gewinnen könnte, woraufhin sie einige tolle Vorschläge, wie „Lenken Sie die Frau auf der Wiese ab…“, „erzählen Sie ihr eine spannende Geschichte“ oder „rennen Sie um sie herum und verwirren Sie“ bekommen hatte.

 

Und dann wie es oft so schön ist; warum auch immer das Universum da immer dieselbe Leier spielt; kurz vorm Aufgeben, sagte ich zu mir, diese Wiese hier noch, und dann reicht’s. Da wartete dann auch mein etwas von den Insekten angebissenes und dennoch fast perfektes vierblättriges Glück. Gegen alle Wahrscheinlichkeiten hatte ich nun bei meinen letzten beiden Suchaktionen eine Findquote von 100 Prozent.

 

Als wir dann – ich zunehmend entspannter - nach Hause zurückliefen, blickte ich abenteuerlich auf eine Wiese neben dem Parkeingang. Da wuchsen riesige Kleeblätter. Ich suchte nur mit den Augen während wir auf Grün warteten. Pilatesposen auf den Straßenkreuzungen schienen mir noch weniger angebracht. Da war aber nichts, zumindest auf den ersten Blick. 

 

Ist es nicht so, dass wir unser Glück auch im Leben gebückt, konzentriert, mit oder ohne Pilatesposen suchen? Ist es nicht auch so, das manch einer nur kurz hinblickt und plötzlich eine Wiese voller glücksbringender Mutationen findet, und diese dann züchtet und noch glücklicher wird?

Aber ist es nicht auch lebensbejaend zu denken, dass es da wächst? Dass selbst wenn’s gestern zehn Minuten dauerte und heute über zwei Stunden, es trotzdem immer möglich ist, sein Glück aus der Erde herauszubuddeln;

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