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Grrrr-Zustände

Heutzutage darf man; vor allem ist es ein deutsches Problem, aber auch langsam immer mehr ein europäisches; sich nicht positiv oder zuversichtlich zeigen. Dann gilt man bestenfalls noch als naiv, eigentlich aber als stockdumm. Ist doch alles so düster um uns herum. Schau diese ganzen Kriege und Umweltkatastrophen, und vergiss die schönen Zweitausender mit ihrem bauchfrei, weiten Jeans und einer Menge Palletten. Da war die größte Diskussion (auf unserem Fleck der Erde! – das sollte man schon immer dazu denken) noch darüber, ob Griechenland jetzt das EU-Budget wirklich überstrapaziert oder nicht.

 

Und auch wenn ich mich aus einer Mischung von Trotz und Überzeugung oft zuversichtlich gebe, verfalle auch ich gerne in Grrrrr-Zustände.

 

Letztens zum Beispiel. Ich werde auf der Zugüberfahrt von der Polizei nicht kontrolliert. Die letzten vier Male, wo ich meinen Pass zuhause vergessen hab (ja, da bin ich nicht besonders lernfähig, oder ich will mir einfach keinen weiteren Weg zum russischen Konsulat antun, wenn ich meinen Pass verliere); und als ich da saß mit zitternden Knien, gingen die Polizisten zu jeder Person hin, die nicht weiß und blond war. Direkt an mir vorbei, die wahrscheinlich als einzige in diesem Zug ohne Pass saß. Der Rassismus an sich hat mich leider nicht überrascht, aber die unverschämte Art ihn nichtmal mit den gemischten Kontrollen zu kaschieren, fand ich ekelhaft. Wenn ich meinen Pass dabei hätte, hätte ich was gesagt, dachte ich mir. Der Egoismus und der dringende Arbeitstermin am Zielort haben mich davon abgehalten. Nächstes Mal nehm ich aber meinen Pass extra mit, um was zu sagen. Sagte ich mir jedes Mal. Wenn ich ihn dann nicht wieder zuhause vergesse, was leider wahrscheinlicher ist. Als ich davon hörte, wie in Berlin aus den Fenstern des russischen Konsulats Leichen rausfallen, verging mir die Lust, diese Orte zu betreten, deshalb lasse ich meinen Pass lieber zuhause in einer Schublade. Seit 2022 habe ich einen Führerschein. Der geht als Lichtbildausweis in Deutschland durch, und das doch schonmal was. So bin ich auf den Straßen meiner Wahlheimat bestens ausgewiesen.

 

Ach, meine Wahlheimat. (Da rollt gerade die nächste Grrrr-Welle, ich spüre sie schon im Nacken). Manchmal liebe ich dich und manchmal hasse ich dich. 

Ich bin unfassbar dankbar in einem Rechtsstaat zu leben. Ich liebe deine sozialen Neigungen. Ich liebe die sauberen bayerischen Straßen und die Natur. Ich habe Spaß daran, die vielen Bundesländerkulturen und Dialekte kennenzulernen. Ich liebe die Zugänglichkeit der Ausbildung und der medizinischen Einrichtungen. Ich liebe die Waldorf-Schule meiner Tochter, die toll und trotzdem bezahlbar ist. Ich liebe es, dass an die Schwächsten gedacht wird, und bin bereit die Steuer dafür zu zahlen. Ich liebe deine Autobahnen und hasse den Nicht-Tempolimit. Ich liebe es zu sehen, dass meine queeren Freunde verhältnismäßig in Sicherheit leben. 

 

Ich hasse dich aber, wenn ich um 4 Uhr morgens im Winter draußen an Münchner Ausländerbehörde ankomme, um am selben Tag noch dranzukommen, und bei weitem nicht die erste bin, während im Bürgerbüro die Deutschen und die EU-Bürger fast ohne Warteschlange bedient werden. Ich hasse es in Echtzeit zu sehen, wie Menschen in zwei Klassen aufgeteilt werden und bin schockiert darüber, wie wenig man bewegen kann, selbst wenn man dreizehn Jahre lang alles gegeben hat, um sich zu integrieren.

 

Ich hasse dich, wenn deine Deutsche Bank mein Konto zweimal hintereinander ohne jegliche Verwarnung sperrt und sich nach mehreren Halbwahrheiten doch auf meinen russischen Pass beruft, obwohl dein eigenes Ausländeramt seit elf Monaten meinen Anspruch auf unbefristeten Aufenthaltstitel prüft. Die gleiche Deutsche Bank übrigens, die eine Tochtergesellschaft in Russland noch immer hat und mit Kriegsverbrechern Geschäfte führt. Ich hasse es, dass du es den Selbständigen so schwer machst: Bei der Wohnungssuche, Kreditkartenanträgen, einem Stapel an Steuererklärungen mit Irgendwasmitirgenwassteueranlagen. Ich hasse die Unpünktlichkeit der Deutschen Bahn, die angesichts der sonst funktionierenden Strukturen an einen Anti-Wunder grenzt. 

 

Und dann zieht der Grrrrr-Zustand wieder vorbei. Es ist immer leichter sich aufzuregen, und ich rege mich echt schnell auf, wenn’s zündet. Ich denke aber, es gehört dazu. Wie in einer Partnerschaft. Ich kritisiere dich, weil ich dich liebe. Weil ich denke, dass es zwischen uns so noch zu retten ist, als wenn wir uns nur noch falsch-freundlich stumm anlächeln würden. Vorausgesetzt ich kriege meinen Aufenthaltstitel natürlich. Das liegt bei dir.

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