Uns überfordert schon das kleinste Gespräch. Merke ich immer wieder. Wenn, dann wollen die Leute immer was von mir. So wie dieser Obdachlose, der neben den Einkaufswägen steht und auf das rausgezogene Euro wartet. Er schaut mich an und sagt Hallo. Sein Lächeln sieht mechanisch aus. Ich schau weg, schon im Vorfeld. Das ist seltsam. Ich weiß, dass das System kaputt ist. Ich laufe aber vorbei. Vor zwei Monaten gab ich ihm mal eine Zwei-Euro-Münze. Seitdem hat er mir im Vorfeld den Einkaufswagen rausgestellt oder wollte die Einkaufstaschen tragen. Ich wollte das nicht. Eine erzwungene Spende fühlt sich seltsam an. Und es fühlt sich dann noch doppelt seltsam an, so, als wäre ich vom Kontakt an sich überfordert. Wie soll ich diesem Menschen begegnen? Was sagen oder tun?
Heute vor dem Supermarkt; ich will die Sendung abgeben: Eine vollautomatisierte Box, unkompliziert und … unmenschlich. Dafür schnell. Direkt vor dem Supermarkt, da muss ich nicht extra noch zur Post. Und im Supermarkt zahle ich an der Schnellkasse, da muss ich höchstens wegen dem Wein einmal nach hinten schauen, dass der Mensch an der Kasse mir das Wein-Ist-Ok-Alter freischaltet. Aber es geht schnell. Keine Schlange mehr stehen. Ich habe es rationalisiert. Alle unnötigen Fahrten und Schlangen wegrationalisiert. Um mehr Zeit zu haben, natürlich. Zeit für was eigentlich? Wir haben Waschmaschinen, Trockner, Spülmaschinen, smarte Kochmaschinen, Roboter-Staubsauger, kontaktlose Lieferdienste, Selbstbedienungskassen.
Wir rationalisieren den flüchtigen menschlichen Kontakt weg.
Um mehr Zeit zu haben. Um dann was? Um zu arbeiten? Um Geld zu schaufeln, um damit den Hyperkapitalismus weiter anzukurbeln? Ich spüle zwar keine Teller mehr, aber fülle endlose Steuerformulare aus, obwohl ich eine Steuerberaterin habe; ich wasche keine Wäsche per Hand (gut, viele tun das seit ein paar Generationen nicht mehr), aber muss täglich belanglose Mails beantworten. Habe ich mir dafür Zeit freigeschaufelt? Da würde ich manchmal lieber echt Wäsche per Hand waschen, da hätte ich mich wenigstens körperlich betätigt und würd mich danach besser fühlen, als nach Stunden am Laptop. Wir machen ein Onlineshop auf und überlegen, was unseren Kunden gefallen könnte, ohne die letzten drei Wochen einen innigen oder überhaupt einen signifikanten Menschenkontakt zu haben.
Kürzlich saß ich in einem Filmfestival. Alternative Kunstfluiden haben regelrecht den Raum geflutet. Gleichgesinnte. Wir lachten auch oft an den gleichen Stellen, auf den bunten Sitzsäcken in einem halbgeöffneten Pavillon am Rande der Stadt sitzend. Ich kam mir vor, als wär ich achtzehn, außer, dass ich um eins schon müde wurde, weil ich die letzten Tage bis drei Uhr nachts gearbeitet habe um den Onlineshop endlich live zu nehmen, und es trotzdem nicht geschafft habe. Also sitze ich da in dieser familiären Atmosphäre und merke, wie wir alle trotz äußerer Nähe nebeneinandersitzen. Nebeneinander sind. Wie im Leben auch. Alle nebeneinander. Wir haben alles wegrationalisiert.
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