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KI und das Fast

Ich glaube, das größte Problem der KI ist, dass nichts wirklich Neues entsteht. Man kann es mit Träumen vergleichen, die bereits existierende Bilder im Kopf neu zusammenwürfeln. Doch während Träume eine schöpferische, unbewusste Kraft besitzen, die sich surrealistisch entfaltet, zwingt ChatGPT seelenlos die statistisch passendsten Puzzleteile ineinander – auch wenn sie nicht ganz einrasten.

Effizient ist es, keine Frage. Aber es verarbeitet nur, was bereits da ist. Was bereits in schriftlicher Form existierte. Mit Algorithmen, die ebenfalls schon existieren. Vielleicht ist es genau dieses fast, dieses Gefühl, das da etwas fehlt.

Es gibt sogar einen Humanizer für ChatGPT – eine KI, die sich selbst humanisiert. Das klingt absurd, aber es ist vielleicht die logische Konsequenz. Doch das fast ist tückisch, den kriegt die KI nicht so schnell wieder weg.

Dieses seltsame Gefühl des Fast. Fast das, was es sein sollte. Und das deswegen gar nicht ist.

Ich sitze vor dem Bildschirm und habe eine freie Minute. Also los. Ich träume viel in letzter Zeit, ausführlich und symbolisch, seitdem ich für meine Philosophieprüfung Freud und Lacan durchforste. Da gerade keine menschliche Hilfe greifbar ist, beschließe ich, meine Träume ChatGPT anzuvertrauen. Warum nicht?

Zwischen den gewohnten Aufgaben – Bewerbung schöner umformulieren, portugiesische Mail beantworten, ein Icon mit Videokamera und Playbutton erstellen – öffne ich ein neues Fenster: Träume deuten möglich?

Die Analyse ist erstaunlich detailliert. Erschreckend detailliert. Sie bringt mich tatsächlich auf neue Gedanken, obwohl ich nach mehreren Jahren Therapie geübt darin bin, meine eigenen Träume zu entschlüsseln. Aber es bleibt dieses Fast. Jede Traumdeutung endet mit 08/15-Floskeln: berufliche Herausforderungen (wer hat sie nicht?), Familie, Lernphase im Leben.

Ist das schon der nächste Schritt – ein fortschrittliches Horoskop, das so vage bleibt, dass es für jeden passt, und sich deshalb fast wie Wahrheit anfühlt?

Und doch: Diese Art der Analyse kostet mich 20 Dollar im Monat. Eine echte Therapiestunde? 100 Euro. Viermal im Monat? 400 Euro. Wir schaffen uns selbst ab.

Aber ist es wirklich ein Vorwurf, wenn sich jemand an ChatGPT wendet, weil das Bankkonto am Monatsende grüne Zahlen zeigen muss? Ich kann es niemandem verübeln. Ich lese gerade viel über Strukturalismus und seine postmodernen Nachfolger – mein Philosophiemasterstudium sei Dank.

Ich frage mich oft, wie lange ich noch relevant bleibe. Wie lange mein Schreibstil noch besonders ist. Wie lange meine Flyerlayouts noch einzigartig wirken. Wie lange KI noch Schwierigkeiten hat, eine Menschengruppe am Tisch abzubilden, ohne eine dritte Hand oder ein versetztes Paar Beine einzufügen.

Vor ein paar Monaten generierte eine KI in einer digitalen Geldkasse noch Maiskörner statt Münzen. Heute passiert das nicht mehr. Wir bringen den Maschinen fleißig bei, wie sie uns ablösen sollen. Und doch habe ich keine Angst.

Wir wollten doch selbstbestimmt und kreativ sein. Auch wenn für viele ein Sprung ins kalte Wasser und eine völlige Umorientierung bevorsteht – es bringt nichts, sich zu beschweren. Wir haben Corona überstanden. Nicht alle von uns, was unfassbar traurig ist. Ich weiß auch nicht, wie viele die Power-KI überstehen. Aber ich hoffe, wir erinnern uns daran, was uns durch Corona geholfen hat: Solidarität.

Gerade lullt uns dieses Fast noch trügerisch ein.


Meine Tochter spricht mit ChatGPT: Male einen Rucksack mit einem Playbutton, minimalistisch. Das letzte Wort hat sie oft genug von mir gehört – es hat sich einen festen Platz in meinem Grafikervokabular erarbeitet.

ChatGPT lädt. Ein perfekt gezeichneter KI-Rucksack. Er sieht wirklich schön aus.

Meine Tochter kann weder lesen noch schreiben, aber sie hat gerade eine KI-Grafik erstellt, mit dem Namen ihrer Lehrerin darauf. Sie will ihn ihr jetzt doch nicht zeigen. Was werden sie über mich denken in der Waldorfschule? fragt sie.

Ich bestehe nicht darauf. Und bin doch zwiegespalten. Ist es noch zu früh? Oder ist es längst Realität für die Digital Natives, die wir in diese Welt gesetzt haben?

Wir können es nicht mehr aufhalten.

Der schön schattierte Rucksack hat übrigens zwei hübsche Schieber oben, aber keinen Reißverschluss.

Noch nicht.


Aber fast.



Ich glaube, unser größtes Problem ist, dass wir uns mit schnellen Lösungen zufriedengeben. Dass wir nach schnellen Lösungen suchen – und dadurch die Tiefe übersehen.

Man sieht es an der Schnelllebigkeit von Social Media, an Plattformen, die darauf ausgelegt sind, dass Inhalte wieder verschwinden. Snapchat, Instagram-Stories. Der Wunsch nach Informationszerstörung. Vielleicht, weil wir diesen ständigen Informationsüberfluss erleben, den wir anders nicht abbauen können.

Und genau deshalb übernehmen KIs immer mehr für uns.

Ich bin dem selbst nicht abgeneigt. Ich nutze ja ChatGPT, um meine Träume zu deuten. Nicht, weil ich denke, dass es mich wirklich versteht, sondern weil allein das Formulieren, das Versprachlichen der Dinge manchmal hilft, klarer zu sehen, wenn man sich leer fühlt.

Aber ist nicht genau diese innere Leere, die wir oft spüren, auch ein Wunsch nach Informationsauslöschung? Ein erzwungenes Innehalten, eine Art erzwungene Meditation?


Ein Platschen reißt mich aus meinen Gedanken. Direkt gegenüber, nur durch die Donau getrennt, steht ein Mensch und angelt.

So stehen wir da. Zwei Menschen, auf verschiedenen Ufern desselben Flusses. Wir nehmen einander wahr – und sind doch beide in unseren Gedanken versunken. Ist es noch die Leere, wenn wir sie uns teilen?


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