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Geschichten außer sich

Manchmal braucht es nur einen Satz, um eine diffuse Ahnung in Worte zu fassen.

Ich kann nicht nicht erzählen. Wenn ich nicht den anderen Geschichten erzähle, erzähle ich mir selbst eine – und das ist ein höchst destruktiver Vorgang.

Das sagte ein oppositioneller russischer Musiker kürzlich in einem Interview, wo es sonst auch wenig erfreuliches zu sagen gab.

Dieser Satz hat mich erwischt. So direkt, dass ich mich fragte, warum ich das nicht längst selbst so formuliert habe.

Denn genau so ist es.

Wenn wir uns selbst Geschichten erzählen, dann sind es selten freundliche Märchen. Es sind auch oft dieselben Gedanken, die sich endlos um sich selbst drehen. Die, wie eine nicht enden wollende Serie, sich selbst nähren und fortführen, obwohl die Haupthandlung längst abgelutscht ist bis auf die Knochen. Trotzdem können wir nicht aufhören. Wir bingen diese Gedanken, oft abends, wenn weniger Eindrucke von außen auf uns einprasseln. 

Dass sind Geschichten davon, dass wir nicht genug sind. Geschichten davon, dass die Welt gegen uns arbeitet. Hypochondrische Geschichten, existenzielle Geschichten bis zur äußersten Überspannung, apokalyptische Geschichten über uns und die Welt, die immer enger uns meint, sich um uns bedrohlich schließt. Diese Geschichten fressen sich in uns fest, bis wir vergessen, dass wir sie selber denken.

Aber das ist nur die eine Hälfte der Wahrheit.

Denn es gibt einen zweiten Motor. Der, der nicht nur verhindern will, dass die Gedanken sich nach innen richten, sondern der aktiv will, dass sie nach außen wirken. Der, der nicht nur das eigene Echo übertönen will, sondern die Welt verändern möchte.

Ich kenne dieses Gefühl. Dieses kindlich-maximalistische Bedürfnis, die Welt zu verschieben. Weil die Geschichten auch Macht haben. Weil sie Ideen pflanzen, die sich ausbreiten können. Weil sie verändern, was Menschen für möglich halten.

Vielleicht ist genau das der Punkt.

Die einen erzählen, um sich nicht selbst zu zerstören. Die anderen erzählen, um die Welt nicht sich selbst zu überlassen. Und manchmal, ganz oft, sind das dieselben Menschen.


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