Ein Straßenfest. Eigentlich war das gar nicht geplant. Eigentlich wollten wir nur bouldern gehen, meine Tochter und ich. Danach ganz entspannt nach Hause kommen. Und dann? Eigentlich nichts. Sofa. Verkümmern. Es gibt ohnehin nicht viel zu tun.
Manchmal fühlt sich mein Leben an wie eine nie endende To-do-Liste. Zwischen Selbstoptimierung (Sport, Meditation, Morgenspaziergänge zur Donau), dem Aufbau meines Businesses, an dem ich zunehmend (ver-)zweifle, meinem Job als selbstständige Grafikdesignerin, der mich täglich aufs Neue herausfordert und meinem Philosophiestudium kurz vor dem Abschluss mit Zigseitenmasterarbeit am Horizont. Irgendwo dazwischen versuche ich, mich selbst nicht zu verlieren.
Also waren wir bouldern. Zumindest konnte ich so den Sport auf die zweite Tageshälfte verlagern und in der ersten nur noch arbeiten. An einem Freitag, an dem ich schon um zwei Uhr meine Tochter von der Schule abholen muss. Solche Schulsysteme funktionieren wahrscheinlich nur in Bayern, wo meist ein Elternteil – fast immer ist es die Mutter – entweder gar nicht oder nur halbtags arbeitet. Ich arbeite quasi Vollzeit, und wenn es sein muss, bis tief in die Nacht.
Aber das Bouldern war schön. Hat Spaß gemacht. Die eigene Agilität zu testen, den Körper herauszufordern, fast wie in einer Prüfung. Und gemeinsam macht es sowieso mehr Freude. Ich merke, wie erwachsen sie schon ist.
Zwei Stunden später, müde, aber zufrieden, fahren wir los. Ich habe es geschafft, das Auto aus der ultraengen Parklücke zu manövrieren, ohne meinen bereits halb herausgehebelten Seitenspiegel nochmal anzuschlagen; eindeutig ein kleiner Triumph. Und plötzlich Trubel. Auf demselben Weg, den wir hierhih gefahren sind, entstand binnen zwei Stunden ein ganzes Straßenfest.
Natürlich will meine Tochter hin. Nach kurzem Hin und Her willige ich ein. Alles, was sie dort ausgibt, zahlt sie von ihrem Taschengeld – fairer Deal. Also bleiben wir.
Ein typisches Fest: überteuertes Essen, Kinderattraktionen, für die man zu lange ansteht und die viel zu schnell vorbei sind. Als ihr Geld ausgegeben ist, zieht es meine Tochter zur Bühne, wo ein DJ auflegt. Keiner tanzt. Doch das ist ihr egal. Sie beginnt. Erst neben der Bühne, dann vor der Bühne, sie würzt ihre Tanzmoves mit Rädern und Handständen. Halb geschlossene Augen, volle Hingabe, sie schwingt mit der Musik, sie ist davon durchtrunken.
Ich stehe daneben, rauchend, und beobachte sie. Ich bin stolz. Stolz, dass sie sich traut. Dass es ihr wirklich egal ist, was andere denken.
Eine Kindergruppe schaut von der Seite zu. Sie lachen, tuscheln, kopieren lachend ihre Moves. Aus Freude oder aus Spott? Oder beidem? Vielleicht wissen sie es selbst nicht genau. Ich kenne diese Dynamiken. Ich habe sie selbst oft genug erlebt.
Was mich aber traurig macht: Die Kinder kommen nicht näher. Keiner tanzt mit.
Die Musik ist aber gut. Mein Körper beginnt zu wippen. Ich denke an meine Clubnächte mit 18. Ich will tanzen. Aber ich tanze nicht. Ich bin nicht mehr sieben. Ich habe sie, diese lähmende Erwachsenenschüchternheit.
Langsam nähere ich mich meiner Tochter. Dann kommt ein lateinamerikanischer Track. Ich schwinge die Hüften, vorsichtig, versuchsweise. Die Beine wiegen mit. Schau mich um. Nichts. Ich hoffe, ein anderer Erwachsener macht jetzt mit – irgendjemand. Immerhin fließen hier Cocktails, aber: nichts. Keiner tanzt.
Und es sind solche Kleinigkeiten, solche Banalitäten, die in mir diese große Frage wecken: Bin ich hier richtig?
Wer sucht sich schon ein Ort aus, an dem mehr getanzt wird? Und trotzdem: Mir fehlt das. Ich kann keine Kinder mit abwesenden Augen mehr sehen. Ich möchte an der Supermarktkasse nicht angetrieben werden, als wäre Leben ein Wettrennen. Mir fehlen diese kleinen Momente, die sich – wenn man sie zulässt – zu einem erfüllteren Leben addieren könnten.
Oft fühle ich mich einsam. Wenn ich keinen Ausflug nach München zu Uni-Freunden plane oder kein Besuch ansteht, weiß ich oft nicht, wohin mit mir. Ich flüchte mich in Selbstoptimierung. Nicht aus Ehrgeiz, sondern aus Leere.
Ein Tag drauf, am Samstag: ein Tag voller Erlebnisse. Früh aufgestanden, ein wenig gearbeitet, dann los. Kajakfahren, baden, Beachball, Feuerwehrfest, Lagerfeuer, EM-Public Viewing. Dreizehn Stunden außer Haus.
Ich brauche Eindrücke. Ohne sie – zuhause, am Wochenende – falle ich in ein Loch. Putzen, aufräumen, die Stille in den Wänden. Und plötzlich wird mir das Dach über dem Kopf zu viel.
Muss ich mich ständig von außen füllen, damit es innen nicht leer ist?
Später am Abend: meine Tochter spielt mit anderen Kindern am Lagerfeuer. Ich sitze auf einem der dicken Holzstämme, kurz bevor er ins Feuer geworfen wird. Man bittet mich, runterzuklettern. Ich setze mich auf die nasse Erde.
Ich schaue zu, wie die Funken des riesigen Feuers sich mit den Sternen vermischen.
Ich frage mich, ob wir uns so sehr entfremdet haben, dass wir einander und uns selbst nicht mehr genügen. Ob wir uns so sehr in Bildschirme verrannt haben, dass wir nur noch reagieren, und deshalb die Natur so dringend brauchen?
Ich weiß nur eines:
Ich möchte dort leben, wo Menschen mittanzen.
Wo an der Supermarktkasse die Zeit kurz stehen bleibt.
Wo gestritten wird, statt gehasst.
Wo Kinderaugen leuchten.
Wo man noch weiß, wie man genießt.
Und ja, es macht mir Angst, mit fast dreißig nochmal neu zu starten.
Aber vielleicht ist genau das jetzt dran.
Immerhin habe ich den Reset – zumindest beruflich – schon zweimal gedrückt.
Update: Das war einer der letzten autobiografischen Texte, als wir noch in Regensburger Innenstadt in einer kleinen Wohnung wohnten. Wir sind seitdem nach Pentling umgezogen. Nicht so weit weg, wie ursprünglich geplant, aber der Unterschied ist riesig. Ich komme äußerlich und innerlich langsam an. Ich mag die Menschen hier, ich mag die Natur, ich fühl mich verbunden. Den stressigen Online-Business habe ich aufgegeben. Der Grafikdesign macht Spaß, das Studium ist fast fertig. Ich muss nicht mehr zur Donau, ich chille im Garten. Optimieren tu ich mich trotzdem gerne. Liegt wohl an der Nadel im Arsch.
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