Ein Traum, der alles verbindet

- dem Traum, den ich nie geträumt habe, entspringen Assoziationen, die zu einzelnen Blogartikeln führen, es entstehen täglich mehr; klicke auf die bunten Wörter -

Sonnenstrahlen wie Feuerflammen. Schon wieder fünf. Der Frühabendsommerwind schwingt durch eine hellbeigebetonierte Industriestadt. Die Mittelmäßigkeit dieser Wahlheimat, die so unentschlossen in einer Lücke zwischen zwei Autobahnausfahrten erwachsen ist, macht sie liebenswert genug, um sie zum Ort der Tag- und Nachtträume zu machen.

 

Die Straßen sind leer. Gleiche Balkone ragen wie Käfige aus den gleichen Gebäuden und werfen synchron gestreifte Schatten auf den Asphalt. Ich spüre die Streifen auf, mit meiner Haut. Routiniert, fast schon automatisch breite ich die Arme aus und schnelle hoch. Bloß raus und nicht die Kontrolle verlieren. Aufschlagen tut weh, auch wenn man’s überleben würde.

 

Aus der Höhe sehe ich sie. Drei auf der Bank sitzende lebhaft-monoton diskutierende uralte Omas. Durch die langen Schatten untermalt, sehen sie wie kleine synchron nickende Puppen aus. Ich glaube, sie sprechen Französisch, vielleicht dichte ich mir das aber auch zusammen. Sie sind alleine in dieser Stadt. Die Hüterinnen, die aufgegeben haben, die Ferne zu suchen.

 

Die Hitze der Sonne trocknet fast in Echtzeit die Spuren der Überschwemmung aus. Die letzte Hornisse flattert vergeblich in einem halbvollen Brunnen, zwischen Papierfetzen und Briefkuverts versinkend.

 

Das große Glück des Fliegens mit sich allein herumzutragen, überfordert mich. Ich schaue aus der Höhe und sehe die Welt, wie sie sich selbst schreibt. Ein Zug der einander gebärenden Moleküle, der niemals stehen bleibt. Eine große Familie, eine sich selbst wie im Tanz führend-nachhelfende Energie. Ein Lehrer und Lehrling zugleich.

 

Die Hornisse ist ertrunken, und an ihrer Stelle schnellt aus dem Brunnen eine junge Pflanze, die nun an meinen Zehen kitzelt.

 

Die Omas sitzen da wie früher, wie immer, und starren in die Ferne, sie sitzen immer da, reden und nicken, als wären sie festgezurrt an einem unsichtbaren Gummiband, das sie immer wieder in dieselbe Haltung zurückkatapultiert.

 

Sonst ist niemand da. Nur drei Omas und eine ertrunkene Hornisse. Und diese junge Pflanze, die immer weiterwächst, wuchert, die ganze Stadt unter sich vergrabend. Ihre gerade noch samtweichen Blätter rollen sich zu Dornen zusammen, umklammern meine Füße. Ich fliege weiter, ziehe die sich unendlich dehnende Auswüchse mit. Die Dornen schneiden immer tiefer rein unter die Knöchel, je schneller ich davonfliege. Ich sprudele aber vor überzeugter und überzeugender Kraft, die alles betäubt, fliege gegen die Pflanze an, und die ganze Welt krümmt sich bis zu völliger Überspannung, reißt ab und fliegt mir nach hoch. Die Omas sitzen immer noch unbeirrt auf der Bank.

 

Der Schmerz schwillt an, der Kraft entweicht die Überzeugung, wie aus einem gelöcherten Ballon. Ich halte es bald nicht mehr aus, schreie lautlos durch die zusammengebissenen Zähne. Halte kurz still, drehe mich zu der Pflanze um und senke abrupt die Arme. Der Schmerz verschwindet. Ich spiele im Krieg anderer nicht mehr mit. Ich muss mir selbst beweisen, dass ich rational bin. Die Pflanze verschwindet, als wäre sie nie dagewesen. Ich atme tief ein und setze zum Fliegen an. Der Moment darauf sticht aber mit einer existenziellen Nadel mitten ins Sonnengeflecht zu, kribbelt über die Adern, fährt tief bis in die untersten Epidermisschichten. Oder war es doch die Pflanze, die ich so verinnerlicht habe, dass ich sie nicht mehr sehen kann? Es ist vorbei. Der Körper ist ohnmächtig. Jetzt ist es ein aufrichtiger Abschied. Ich weiß nicht, wovon. Ich höre auf gegen die Luft anzuecken. Mache mich geschmeidig. Ich gleite. Ich verliere atemberaubend die Höhe. Alles dreht sich. Ich wache gleich auf, glaube ich. Hoffe ich. Es fühlt sich zu wahr an.